Stell Dir vor, Du arbeitest in einem Unternehmen.
Eines Tages im laufenden Geschäftsjahr sagt Dein Chef, wir müssen unbedingt mehr Geld ausgeben als geplant.
Als Mitarbeiter eines Unternehmens wirst Du es nicht glauben, als Bediensteter einer Behörde wirst Du schmunzeln.
Denn Dir ist dieses Prozedere aus den vergangenen Jahren bereits bekannt.
Mal wurde zu viel ausgegeben und die Ausgaben müssen gekürzt werden, mal ist es anders herum.
Und manchmal ist es befremdlich, wenn mitten im Jahr einige zusätzliche Millionen in den Haushalt fließen.
Denn weiterhin gelten natürlich die Spielregeln der Mittel schonenden Verwendung sämtlicher Gelder.
Auch müssen unsere Mehrausgaben ebenso gut begründet sein, wie sie das immer sind.
Dank der ermessenslenkenden Weisungen und der Formulierungshilfen brauchen wir uns aber nur wenige Gedanken machen …
Noch ist der Plan zur Bewirtschaftung eines jeden Haushaltes bislang aufgegangen.
Am Ende eines Jahres weiß noch niemand genau, wie viele Millionen im folgenden Jahr zur Verfügung stehen werden.
Man hat so eine Ahnung und plant daraufhin nach bestem Wissen und Gewissen.
So wie es die meisten von uns mit der Haushaltskasse zu tun pflegen.
Gehen wir mal von einem Jahresetat unseres Jobcenters von etwa 50 Millionen EUR aus.
Die werden mehr oder weniger so verplant, wie auch im vorhergehenden Jahr.
In 2018 wurde eine neue Regierungskoalition gebildet.
Dann passierte, was nirgendwo in den Medien mitgeteilt wurde:
Seit Mitte des Jahres steht auf einmal wesentlich mehr Geld zur Verfügung als bei der Planung gedacht.
Das, was wir gestern noch nicht ausgeben durften, das sollen wir heute ganz offensiv an den Mann bringen.
In diesem Jahr lautet die Frage: Wohin mit den Millionen?
Es gibt allerlei Möglichkeiten. Aber gemach.
Wir haben ja Einfluss auf die Menge unserer Arbeit, denn wir generieren sie uns zum Teil selbst.
Bieten wir jedem an was möglich ist, dann müssen wir uns nicht wundern, dass wir nicht hinterher kommen.
Ohnehin spricht es sich unter unseren Klienten sehr schnell herum, dass die Jobcenter die Spendierhosen angezogen haben.
Zunächst bewillige ich Anträge auf finanzielle Förderung erst mal mit einiger Großzügigkeit.
Später wird es noch genügend Zeit und Gelegenheiten geben, vielen Leuten die Millionen aufzudrängen.
Exkurs: Ermessenslenkende Weisungen unserer Geschäftsführung.
Was für eine semantische Konstruktion, die gleichzeitig Freiheiten, Begrenzungen und Imperative in sich vereint.
Wer Ermessen ausübt, hat eigentlich Handlungsspielräume.
Diese werden durch gesetzliche Rahmenbedingungen begrenzt.
Aber Handlungsspielräume werden nicht nur durch Gesetze begrenzt. Warum?
Auszuübendes Ermessen wird im Verwaltungswesen als Überforderung eines Mitarbeiters angesehen.
Infolgedessen wird dieses Ermessen durch die Geschäftsführung gelenkt.
Natürlich hat diese Lenkung die Funktion einer Empfehlung, denn sie kann sich über das Gesetz nicht hinwegsetzen.
Warum hat sie trotzdem den Charakter einer Anordnung?
Das Wörtchen Weisung ist der Schlüssel. Denn eine Anweisung ist keine Empfehlung, sondern eine Forderung.
Das Gesetz erwartet von uns die Ausübung von Ermessen.
Wir sind aufgefordert uns zu überlegen, welche Entscheidung zu treffen ist.
Aber unsere Geschäftsführung gibt vor, wie diese Entscheidung ausfallen sollte.
Nicht das Gesetz, sondern die Geschäftsführung entscheidet über die Lenkung unseres Ermessens.
Die Begründung, dass viele Kollegen nach diesen Vorgaben verlangen, lasse ich nicht gelten.
Es besteht nun mal ein Widerspruch zwischen Massengeschäft und Kunden orientierter Beratung und Förderung.
Deshalb sind auch nicht alle Anforderungen an uns Mitarbeiter gleich wichtig.
Die Weisung kommt immer mit einer bevormundenden Herablassung daher und offenbart ihre wahre autoritäre Gesinnung.
Eine Kultur des wertschätzenden Empowerment und des Vertrauens sieht anders aus.
Sie macht keine Vorgaben, sondern sie ermuntert zum Nachdenken.
Zur Vergegenwärtigung des Einzelfalles und zur bewussten Auseinandersetzung mit den Fragen, die sich daraus ergeben.
Ebenso wenig lasse ich die Begründung der Kollegen gelten, dass wir viel zu wenig Zeit haben für echte Ermessensentscheidungen.
Es ist vielmehr die Frage, was bewusst auf der Strecke bleibt.
Und da übt jeder zwangsläufig sein Ermessen aus, denn sämtliche Vorgaben sind ohnehin nicht zu bedienen.
Nun aber von unserem Exkurs zurück zur Beantwortung der Millionen-Frage.
Die ermessenslenkenden Weisungen werden in Zeiten hinzu gekommener Millionen angepasst.
Und die Ausübung des Ermessens soll dahin wirken, mit Kreativität teure Ausgaben zu realisieren, die möglichst viele Gelder abfließen lassen.
Hier schlägt die Stunde hochpreisiger Maßnahmeangebote, die mit heißer Nadel gestrickt werden.
Einem ehemaligen Klienten von mir wurde unter ähnlichen Bedingungen einmal die Teilnahme an einer solchen Maßnahme schmackhaft gemacht.
Bereits am ersten Teilnahmetag erfasste er geistesgegenwärtig die Sinnhaftigkeit.
Darüber hinaus hatte er spitz gekriegt, was die mehrmonatige Maßnahme kostet.
Und gab postwendend sein treffendes Urteil ab:
„Die 12000 Euro sollte mir das Jobcenter lieber auszahlen, als so einen Quatsch zu fördern.”
Ich schlussfolgerte daraus: Wir unterschätzen die Urteilskraft unserer Klienten!
Doch es hilft alles nichts, die Millionen müssen raus.
Also verschenke ich Prämien für versicherungspflichtige Arbeitsaufnahmen.
Es gibt einen monatlichen Bonus im dreistelligen Bereich.
Die Leute freuen sich und das sollen sie auch.
Bei aller Bescheidenheit, die mit der Agenda 2010 kultiviert wurde, sind sie für kleine Geldgeschenke immer zu haben.
Nicht nur unsere Klienten zucken auf Millionen, sondern auch wir Mitarbeiter selbst.
Unsere erste Idee, was man mit all dem Geld machen könnte, ist regelmäßig die eigene Kontonummer.
Natürlich nur aus Spaß, aber uns geht es doch nicht anders als unseren Klienten. Der Mammon ist nicht schnöde.
In einer Welt alternativloser Gesinnungen und Systeme nehmen wir mit, was wir kriegen können.
Meist eine Illusion von Anerkennung und Wertschätzung in Form von Massenbotschaften.
Alle 2 Jahre ein paar Prozent Gehaltserhöhung, um die nach der Tarifverhandlungsshow unser Einkommen aufgestockt wird.
Die Millionen Euro bedienen Reflexe.
Da wir alle gern ein paar Euros mehr im Portemonnaie haben, zucken wir auf Geldangebote, mit denen wir eigentlich nicht rechnen durften.
Und wir Mitarbeiter beschäftigen unser Wachbewusstsein mit Vorteilübersetzungen, die die Absurdität dieser Planwirtschaft verschleiern helfen.
Die Erfahrenen und Abgeklärten unter uns erklären unseren Klienten einfach wie es ist.
Oft müssen wir es nicht mal erklären, weil viele Menschen bereits über die Funktionsweise unserer Sozialgesetzgebung im Bilde sind.
Oder zu Recht ihrem Gefühl vertrauen, dass hier etwas gehörig nicht stimmt.
Derweil bemühen wir uns mit zuspielen und das Verteilungssystem zu bedienen.
Schließlich hängt unser Job daran.
Vielleicht sind wir nicht mehr so leicht zu begeistern … über erreichte geschäftspolitische Zielsetzungen.
Vielleicht geraten wir auch nicht mehr so leicht in Sorge … über die Konsequenzen nicht erreichter Ziele.
Aber am Ende versucht jeder von uns, einen guten Job zu machen.
Gerne erinnere ich mich in Zeiten üppiger Millionen all der Bildungswünsche, die immer auf der schwarzen Liste standen.
Weil es für sie „keinen Arbeitsmarkt” bei uns geben soll.
In Zeiten knapper Mittel sei es nämlich ein Gebot der Vernunft und Wirtschaftlichkeit, derlei Bildungsangebote nicht zu fördern.
In Zeiten zu verteilender Millionen verschwindet die schwarze Liste in der Schublade.
Sie hindert mich nicht mehr an der Ausgabe von Bildungsgutscheinen für Qualifizierungsziele, in die meine Klienten ihr Engagement investieren wollen.
In gewöhnlichen Zeiten muss ich mit umständlichen Formulierungen die Sinnhaftigkeit von Ausbildungen rechtfertigen, für die es „keinen Arbeitsmarkt” gibt.
Nun werden die Stimmen derer still, die gern mit gut gemeinten Argumentationen die Verantwortungsverschwörung stützen.
Sie wissen, das bleibt nicht lange so und die Zeiten des Überflusses gehen schneller vorüber als sie gekommen sind.
Und dann gewinnen sie wieder die Hoheit über derlei Entscheidungsprozesse.
Die Verwalter des Mangels, der Entbehrung und des Verteilens vom Wenigen unter Vielen.
Sie kommen nicht gut klar mit dem Überfluss, der Freude des Gebens, der Lust am Schenken.
Kurzum, ich bin der Meinung, engagierte Menschen sollten unbedingt gefördert werden.
Ausbildungen im Wellnessbereich gleichermaßen wie werdende Kosmetikerinnen.
Und ich würde alles fördern, was Menschen stark und mutig macht und ihnen hilft, ihre Möglichkeiten zu erweitern.
Steigender Beliebtheit, weil vergleichsweise mit hohen Kosten einhergehend, erfreut sich die Führerschein- und KFZ-Förderung.
Zeitliche und monetäre Obergrenzen sind auch hier aufgestockt, ausschließende Rahmenbedingungen sind nahezu aufgehoben.
Dass ein Führerschein immer Sinn macht, egal in welcher Lebenslage, dürfte unbestritten sein.
Ein wenig Kreativität bei der Formulierung der Begründung sollte hinreichen.
In den hartnäckigen Fällen hilft Beharrlichkeit und eine wohlwollende Teamleitung.
Natürlich tun wir gut daran, zu fördern, was das Zeug hält.
Einige der von uns Geförderten werden mit diesem Anreiz zur Leistung und zum Erfolg motiviert.
Dieses Investment in ihre Entwicklung wird sie bereichern.
Und es wird sie in die Lage versetzen, neue Möglichkeiten für ihre Lebensplanung zu realisieren.
Es gibt weitere Profiteure der Millionen:
- Arbeitgeber, die höhere Fördermittel für die Einstellung von Arbeit suchenden Menschen erhalten.
- Bildungsträger, die jetzt auch Aus- und Weiterbildungen verkaufen können, für die es nach unseren Maßstäben keinen Arbeitsmarkt gab.
- Menschen an der Armutsgrenze, die mehr Mittel für allerlei Ausgaben rund um eine potenzielle Arbeitsaufnahme erhalten.
Derweil trage ich meinen Teil dazu bei, dass allein in unserem Agenturbezirk mindestens 5 weitere Millionen Euro unter die Leute gebracht werden.
Ich werde diese Zeit genießen und mich mit meinen Klienten freuen.
Solange bis der Gürtel wieder enger geschnallt werden wird.
Fazit
In diesem Jahr 2018 fließen viele Millionen EUR zusätzlich in die Haushalte der Jobcenter.
Die Kommunen werden darauf bestehen, dass die Mittel zu 100 % abgerufen werden.
Sie kommen dem Wirtschaftsraum und den Menschen zugute.
Wir Mitarbeiter bemühen uns um die Verteilung dieser zusätzlichen Mittel.
In diesen Zeiten kann Vieles gefördert werden, was gestern noch nicht möglich war.
Ich meine, dieses Geld sollte denen zugute kommen, die es am meisten verdienen.
Schreibe einen Kommentar