Zweifelsohne ist die bevorstehende Bundestagswahl ein Anlass dafür, dass unter Kollegen und mit unseren Kunden politische Themen bewegt werden.
Die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung sind angehalten, sich in Ihrer Dienstzeit gegenüber Kunden politisch neutral zu verhalten.
Das ist sicherlich gut und richtig.
Gleichzeitig regt das Grundgesetz aber die Pflege von politischem Bewusstsein an.
Denn die Grundrechte Artikel 1-19 sind der Ausgangspunkt für alle Bürger, Verantwortung für das Gelingen unseres Zusammenlebens zu übernehmen.
Und das ist der Grund dafür, dass ich dem Amtsschimmel-Blog einen Beitrag zum politischen Bewusstsein hinzufügen möchte.
Der auslösende Moment schließlich für die Umsetzung dieses Gedankens war die Lektüre eines inspirierenden Artikels.
Es handelt sich um den Blogbeitrag Schatz, wir müssen über Politik reden.
Der Autor Lars Vollmer beschreibt hier insbesondere die politischen Dimensionen des Arbeitsbegriffs. Sehr lesenwert.
Politisches Bewusstsein ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung einer Haltung.
Ohne Zweifel haben wir gerade in unserem Arbeitsumfeld mit den Realitäten und Folgen politischer Entscheidungen zu tun.
Damit meine ich insbesondere die Folgen von Sozialgesetzgebung auf
- unser Denken und Handeln
- den Umgang mit unseren Kunden
- die Lebensrealitäten der Menschen, die auf die Grundsicherung ihrer Existenz angewiesen sind
Ich meine damit aber auch die Umgangsformen, die wir als Vorgesetzte, Kollegen und untereinander pflegen.
Auch sie sind geprägt von politischem Bewusstsein.
Denn es gehen damit oftmals unterschiedliche Vorstellungen darüber einher, wie Zusammenarbeit funktionieren und welche Ziele wir verfolgen sollten.
Vertieftes Nachdenken um Voraussetzungen und Ereignisse in unserem beruflichen Alltag stellt an uns hohe Anforderungen.
Gleichermaßen will auch politisches Bewusstsein erst entwickelt werden.
Es braucht viel Zeit und Engagement, wenn wir uns mit den Hintergründen von größeren Zusammenhängen beschäftigen wollen.
Politisches Bewusstsein bedarf einer gewissen Reife, damit wir Ereignisse in ihren Zusammenhängen beurteilen können.
Und es bedarf natürlich entsprechender Quellen für unsere Informationen.
Es reicht einfach nicht mehr, auschließlich Informationen aus den sogenannten mainstream-Medien zu konsumieren.
Wir beginnen zu begreifen, dass die uns vertrauten Qualitätsmedien vergangener Tage möglicherweise tendenziöser berichten, als wir das glauben wollten.
Wir brauchen zusätzliche und alternative Informationsquellen, die für kritische und unabhängige Berichterstattung stehen wie KenFM, NachDenkSeiten u.a.
Aber es gibt auch starke Widerstände gegen die Entwicklung politischen Bewusstseins.
Menschen mit politischem Bewusstsein vermögen nämlich in außerordentlichem Maße, sich selbst zu führen.
Sie beurteilen Führung von außen demzufolge kritisch.
Insbesondere erfahrene, auch lebenserfahrene Mitarbeiter haben Überzeugungen entwickelt, wie sie ihre Arbeit machen wollen.
Dabei definiert die Geschäftsführung sicherlich wesentliche Kenngrößen.
Aber im öffentlichen Dienst und insbesondere in Sozialbehörden gelten neben „unternehmerischem Erfolg” eben auch Werte.
Werte werden durch gesetzliche Grundlagen und insbesondere durch die Grundrechte definiert.
Mitarbeiter mit politischem Bewusstsein sind sich dieser Zusammenhänge gewahr.
Sie überlassen die Deutung von Werten nicht den anderen, sondern stehen mit ihrer Haltung für Teilhabe an dieser Deutung.
Menschen mit politischem Bewusstsein stehen für ihre Haltung ein und bringen sie nicht leichtfertigen Forderungen zum Opfer.
Das macht sie demzufolge weniger korrumpierbar, was eigentlich für diese Mitarbeiter sprechen sollte.
Stattdessen werden sie häufig als unbequeme Widerspruchsgeister wahrgenommen.
Aber die Antwort auf ihr Warum ist für solche Mitarbeiter eine wesentliche Voraussetzung für ihre Bereitschaft, das mitzutragen, was von ihnen gefordert wird.
Ihnen ist fremd, die Verantwortung für ihr eigenes Handeln auf andere zu übertragen, wenn es ungemütlich wird.
Sie sind bereit für das, was sie tun, auch Verantwortung zu übernehmen.
Deshalb hinterfragen sie Forderungen an ihr Verhalten im Vorfeld.
Sie wollen sich ein umfassendes Bild von dem machen, wofür sie im Nachhinein ggf. auch stehen werden.
Betrachten wir einige Beispiele aus der Arbeitsverwaltung:
Unsere Geschäftsführung bestimmt, dass wir das Förderinstrument Einstiegsgeld zur Anwendung bringen können.
Das ist eine Prämie für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Weil wir unseren Kunden gern Gutes tun, bieten wir ihnen Einstiegsgeld an und motivieren sie damit zur Aufnahme einer Beschäftigung.
Betrachten wir das Fördermittel Einstiegsgeld nun mit politischen Bewusstsein, dann machen wir uns (vielleicht) folgende Gedanken und werfen Fragen auf:
- Es heißt, Einstiegsgeld führt zu nachhaltigen Integrationserfolgen, die durch empirische Forschungsergebnisse belegt sind. Bestätigt sich das in unserer Erfahrung?
- Wird Einstiegsgeld offensiv beworben, dann wird diese Förderpraxis Begehren wecken und hundertfach bedient werden. Ist das so gewünscht?
- Wird auf diese Weise tatsächlich die Arbeitslosenstatistik beeinflusst, dann würde unsere Arbeit in Wahlzeiten politische Wirkung entfalten. Möchten wir das?
- Es gibt sogenannte ermessenslenkende Weisungen, die uns Vorgaben über die zu prüfenden Kriterien machen. Haben wir eigene Beurteilungsmaßstäbe? Welche sind das und wie bringen wir sie zur Anwendung?
Nehmen wir ein anderes Beispiel aus der Erfahrungswelt der Arbeitsverwaltung:
Mitarbeiter im Kundenkontakt nehmen häufig in Anspruch, sinnhaft handeln zu wollen und hinterfragen daher geschäftspolitische Entscheidungen.
Teamleiter bemühen sich nun um Vorteils-Übersetzungen von Entscheidungen, die in der Kritik stehen.
Forderungen nach Sinnhaftigkeit lösen bei Vorgesetzten häufig Zerknirschtheit oder Schulterzucken aus.
Sie sind nicht auf Sinnhaftigkeit, sondern auf Loyalität mit Führungsentscheidungen bzw. politischen Vorgaben trainiert.
Und Loyalität ist genau das, was sie meinen, wenn sie stattdessen von den Grenzen unserer Einflussmöglichkeiten sprechen.
Wenn sie uns vermitteln wollen, unser Tun auf das zu beschränken, was man uns sagt.
Insbesondere wenn es von „ganz oben” kommt.
Dabei ist die Frage nach Sinnhaftigkeit eigentlich Ausdruck von politischem Bewusstsein.
Und das ist der Boden für unsere Urteilsfähigkeit, und zwar nicht nur im Kontext politischer Meinungsbildung.
Politisches Bewusstsein macht wach, regt die Lebensgeister an und fördert unsere Kundenorientiertheit.
Und nicht zuletzt dient unsere Urteilsfähigkeit der Qualität, mit der wir unsere Kunden zu ihrem bestmöglichen Nutzen beraten.
Wir tun gut daran, auch vielschichtige Fragen in größeren Zusammenhängen zu betrachten.
Denn es geht mitnichten darum, sich immer und sofort eine eigene Meinung bilden zu können.
Vielmehr ist es aufregend und bereichernd, der Funktionsweise von Zusammenhängen auf die Spur zu kommen.
Das kommt selbstredend auch unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung zugute.
Die Vielschichtigkeit von Zusammenhängen braucht uns nicht zu verunsichern.
Aber wir müssen wieder unterscheiden lernen, welche Informationen und Erkenntnisse uns tatsächlich bereichern.
Und unser Verständnis von der Funktionsweise der Welt im Kleinen sowie im Großen erweitern.
Auf dem Markt der Vermittlung von Informationen wird heute alles angeboten, was wir für unsere Meinungsbildung brauchen.
Sämtliche Informationen sind für jedermann frei verfügbar.
Ohne ein politisch geschultes Bewusstsein fehlt uns aber ein wichtiger Maßstab für Unterscheidungen.
Bestimme selbst über Wege Deiner Meinungsbildung.
Erlaube Dir, die Quellen Deiner Informationen frei zu wählen und prüfe,
- ob diese Informationen Dich ansprechen
- welche Bedeutung sie für Dich haben und
- ob sie Dich inspirieren
Du kannst einwenden, dass
- unser politisches Bewusstsein immer auf die eine oder andere Art manipuliert wird
- es immer für und wider, 2 Seiten einer Medaille gibt
- eine wahrheitsgetreue Meinungsbildung gar nicht möglich ist
- Begeisterung bei der Entwicklung Deiner Haltung Dich eher irreführen kann
Es gibt tatsächlich keine Gewähr für die Richtigkeit von Informationen.
Du läufst immer Gefahr, Dich für etwas zu begeistern, dass sich im Nachhinein als doch nicht so brauchbar oder bereichernd erweist.
Allein es ist Deine Intuition, die sich auf diesem Weg ebenfalls weiter entwickelt.
Sie wird sich in Deiner Erfahrungswelt als hilfreicher Wegweiser etablieren.
Eine der Wahrheit dienliche Größe, die Du bei Deinen Entscheidungsprozessen nicht mehr missen möchtest.
Ein anderes und sehr kontrovers diskutiertes Beispiel aus unserem täglichen Geschäft:
Die Praxis des wirtschaftlichen Sanktionierens von fehlender Mitwirkung unserer Kunden, die im Rahmen des SGB II betreut werden.
In vielerlei Hinsicht gehen die Meinungen weit auseinander.
Noch in diesem Jahr soll das Bundesverfassungsgericht über das Sanktionsrecht entscheiden, siehe Punkt 25 in der Übersicht.
Kläger sehen in Sanktionen einen Verstoß gegen das Völkerrecht, den UN-Sozialpakt, die Behindertenkonvention und das deutsche Verfassungsrecht.
Auf der anderen Seite gelten Sanktionen für fehlende Mitwirkung seit nunmehr 12 Jahren zum rechtlich gedeckten Alltag für die Beziehungsgestaltung von Arbeitsberatern und ihrer Kundschaft und werden jedes Jahr tausendfach angewendet.
Befürworter der Sanktionspolitik argumentieren gern mit der Sinnhaftigkeit von Sanktionen.
Gegner der Sanktionspolitik sprechen Sanktionen die Sinnhaftigkeit ab.
Als Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung musst Du Dir Dein eigenes Bild machen.
Es ist nicht schicklich, die Verantwortung für das Einleiten einer Sanktion auf gesetzliche Bestimmungen zu schieben.
Fehlende Mitwirkung ist keineswegs trennscharf und eindeutig definiert.
Selbst ein Meldeversäumnis ist mitunter kritisch zu hinterfragen.
Nein, es liegt vielmehr in den Spielräumen Deines Ermessens
- was Du als fehlend in der Mitwirkung beurteilst
- wie Du ein solches Versäumnis beurteilst und
- welche Gründe Du für die Entschuldigung dieses Verhaltens gelten lässt
Deine Entscheidung ist nicht nur Ausdruck des Rahmens, in den Du fehlende Mitwirkung einordnest.
Sie ist vielmehr Ausdruck Deines politischen Bewussseins.
Deiner Haltung und Überzeugung zur Funktionsweise von Menschen und Deiner Sichtweise auf die Gesellschaft, in der Du leben willst.
Deine Verantwortung beginnt in genau diesem Bereich.
Dies ist Dein ganz eigener Erlebens- und Wirkungsbereich.
Der Journalist und Philosoph Jürgen Wiebicke hat das in seinem Buch Zehn Regeln für Demokratie-Retter sehr treffend mit Politik des Nahbereichs bezeichnet.
Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, seine Haltung an der Stechuhr abzugeben.
Den Beurteilungsrahmen zu begrenzen auf die Regeln und Bestimmungen, die in erster Linie das Funktionieren der Behörde oder Verwaltung sicherstellen.
Du bist nicht Opfer gesetzlicher Rahmenbedingungen, sondern Gestalter in der Auslegung der gesetzlichen Regelungen.
Die Art und Weise, in der Du die Gesetzgebung anwendest, obliegt Deiner Haltung.
Und diese wiederum ist geprägt von Deinem politischen Bewusstsein.
Es geht mitnichten um eine parteipolitische Stellungnahme. Auch nicht um Solidarität mit Parteiprogrammen oder gar um Wahlempfehlungen.
Es geht vielmehr um
- eine Politisierung von Informationen
- die Schöpfung von Haltung
- den kritischen Geist, der zu beurteilen vermag, wie Meinung gebildet wird
- unsere eigene Manipulierbarkeit, die wir nie ausschließen können
In diesen Tagen der bevorstehenden Bundestagswahl wird gern die demokratische Grundordnung unserer Gesellschaft beschworen.
Wir werden als Wahlvolk umschmeichelt.
Da ist es doch recht passend, uns unserer Rolle als Staatsbürger zu besinnen und vom großen Spektakel der Vorwahlzeit auch mal abzusehen.
Stattdessen lass‘ uns die ganz persönliche Politik des Nahbereichs erkunden.
Sie ist das Arbeitsfeld der Entwicklung unserer Haltung.
Fazit
Es ist Vorwahlzeit. In Zeiten von Wahlkämpfen werden die Mitarbeiter von Ämtern und Behörden an ihre Neutralitätspflicht erinnert.
Sie sind gehalten, sich am Arbeitsplatz nicht für oder gegen politische Parteien stark zu machen. Das ist gut so.
Leider sind insbesondere unsere vorgesetzten Kollegen viel zu sehr besorgt um Verhalten, das sie nicht billigen, als dass sie Verhalten fördern, das sehr wünschenswert ist.
Infolgedessen glauben wir, am Arbeitsplatz nicht politisch sein zu dürfen. Das Gegenteil ist aber richtig.
Diana Kinnert hat das mit ihrem Leitartikel im Tagesspiegel Politisch sein heißt, Verantwortung nicht zu scheuen sehr treffend auf den Punkt gebracht.
Wollen wir hier wirksam werden und unsere Aufgaben mit politischem Bewusstsein machen? Was meinst Du? Ich freue mich auf Deinen Kommentar!
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