Erzähl’ das mal einem Bergwanderer!
Natürlich ist das Bild völliger Unfug, doch warum gilt es in Behörden ähnlichen Strukturen als gesetzt?
Was aber viel schwerer wiegt, warum erklären sich die Meisten von uns damit einverstanden?
Und welche Konsequenzen birgt diese stillschweigende Übereinkunft?
Wir müssen ein wenig ausholen.
Gehen wir einmal von folgenden Annahmen aus:
Wir sind Mitarbeiter im operativen Geschäft. Und wir betreuen Menschen, die arbeitslos gemeldet sind.
Unsere Stelle hat einen vollzeitigen Umfang. 5 Tage die Woche kommen wir zum Dienst.
Wir sind verantwortlich für die Planung des beruflichen Wiedereinstiegs ins Erwerbsleben für den uns anvertrauten Kundenkreis.
Wir werden mit dieser Aufgabe reichlich zu tun haben.
Jedenfalls wenn wir sie kundenorientiert begreifen.
Je nach Organisation des Bereichs, in dem wir arbeiten, sind wir zuständig für Hunderte von Menschen.
Nun ja, wir wollen ehrlich sein, wirklich kümmern können wir uns um etwa 70 dieser Menschen, wenn überhaupt.
Und damit sind wir AUSGELASTET, undzwar auch ohne Zusatzaufgaben
In unserer Stellenbeschreibung steht nichts von Rucksäcken.
Unsere Arbeitsverträge beinhalten keine Zusatzaufgaben, die jeder zu übernehmen hat.
Jedoch begreift jeder neue Mitarbeiter schnell, dass es hier um ein ungeschriebenes Gesetz geht:
Jeder übernimmt Zusatzaufgaben, also auch Du werter Kollege.
Schließlich geht es nicht nur um zusätzliche Arbeit, sondern es geht um ein Privileg.
Das Privileg der Zusatzaufgabe. Wer möchte nicht etwas besonderes tun?
Wer möchte nicht die Verantwortung für eine besondere Aufgabe tragen?
Es gibt Kollegen, die für Vorteilsübersetzungen weniger empfänglich sind.
Das bedarf aber einer gewissen Auffassungsgabe, die sich die meisten von uns erst erarbeiten müssen.
Damit ausgestattet laufen diese beneidenswerten Charaktere ohnehin kaum Gefahr, irre geleitet zu werden.
Was sind denn nun Zusatzaufgaben?
- eine (zeitlich begrenzte) Mitwirkung in einer Arbeitsgruppe
- die dauerhafte Übernahme eines Amtes als Ansprechpartner für besondere Fragestellungen
- Verantwortung für die administrative Abwicklung von bestimmten Prozessen in Fachverfahren
- die Betreuung eines Bildungsträgers, bei dem regelmäßig unsere Kunden an Maßnahmen teilnehmen
- Projektbetreuungen
- und und und …
Warum übernehmen wir Zusatzaufgaben?
- Interesse: Weil uns ein Thema neugierig macht und weil wir uns damit beschäftigen wollen, damit wir etwas dazulernen und unseren Horizont erweitern
- Expertise: Wir haben uns bereits durch frühere berufliche Tätigkeiten oder Erfahrungen unsere Kenntnisse erweitert und wollen unsere Expertise einbringen
- Nase voll: Unsere Kunden nerven uns, sie sind anstrengend und tun nicht, was wir sagen; das ist auf Dauer frustrierend
- Kohle: Die Sonderaufgabe ist dotiert mit einer Zulage, die wir fortan jeden Monat erhalten; ein paar Euros mehr in der Tasche, das ist nicht verkehrt
- Tapetenwechsel: Wir müssen auch mal raus aus unserem Büro; es wird sonst alles etwas einseitig und wir brauchen halt auch mal Abwechslung
- Personalentwicklung: Wir wollen gestalten, Verantwortung übernehmen; wir wollen führen und Chef sein
Falls Du das Gefühl hast, dass einer der genannten Punkte irgendwie nicht so recht in die Liste zu passen vermag, dann
- arbeitest Du noch nicht so lange in Deiner Behörde oder
- Du hast Dir ein gesundes Urteilsvermögen bewahrt oder
- Du hast es entwickelt
Doch dazu später mehr.
Was passiert, wenn Du Zusatzaufgaben schulterst?
Natürlich kannst Du zu einem gewissen Maß lernen, Deine verfügbare Arbeitszeit gut zu strukturieren.
Du kannst lernen, Dich zu organisieren.
Auch kannst Du an der Effizienz Deiner Arbeitsprozesse Korrekturen vornehmen.
Du kannst die Fokussiertheit Deines Handelns weiter entwickeln.
Vielleicht steigerst Du Deine Konzentrationsfähigkeit.
Oder aber Du kannst durch Selbstdisziplin Zeit und Kapazitäten gewinnen.
Irgendwann aber ist der erzielbare Gewinn nicht weiter zu optimieren.
Denn es lassen sich nur noch unwesentlich wirksame Verbesserungen erzielen.
Du wirst erkennen, es gibt keinen anderen Weg, als Prioritäten zu setzen.
Du musst Dich entscheiden, was Dir wichtiger ist als etwas anderes!
Dafür gibt es verschiedene Verfahren.
Es gibt Techniken aus dem Zeitmanagement, die Dir dabei helfen, Prioritäten zu setzen.
Dann läuft das sehr organisiert und rechnerisch, aber auch wenig intuitiv.
Du kannst zum Beispiel all das aufschreiben, was zu erledigen ist und dann nach Wichtigkeit sortieren.
Das ist eine von vielen Techniken, die Du in jeder Fortbildung zum Zeitmanagement lernst.
Sicher findest Du darin Techniken, die zu Dir passen.
In der Regel sind sie aber alle unvollständig, denn perfektes Zeitmanagement führt noch lange nicht zu einem guten timing.
Ghania Ibelaidene hat auf sinnklang.de einen inspirierenden Beitrag zu diesem Thema geschrieben.
Zeitmanagement legt den Fokus darauf, dass etwas passiert und timing beschreibt den Zeitpunkt, wann es passiert.
Einer Aufgabe den Vorrang vor einer anderen zu geben ist die Königsdisziplin in Deinem Job.
Sie wird nur funktionieren, wenn Du gewillt bist, Deine Haltung immer und vor allen Dingen weiter zu entwickeln.
Diese Haltung wird Deine ganz eigene sein, wenn Du sie immer wieder an Deinen hohen Ansprüchen misst.
Und Deine Haltung wird eine erstaunliche Arbeitszufriedenheit mit sich bringen …
Wenn sie auf das Prinzip der Kundenorientiertheit baut.
Die Rucksacktheorie der Zusatzaufgaben täuscht darüber hinweg.
Haltung und die Qualität der Kundenorientiertheit sind schwer zu messende Konstrukte.
Daher verlegt sich jede Mitarbeiterbeurteilung gern auf Messbares.
Es bietet sich an, die Anzahl und das Gewicht der Rucksäcke, der Zusatzaufgaben, auf der Grundlage des kleinen Einmaleins zu bestimmen.
Das Ergebnis wird gern als Eignungsvoraussetzung für eine Personalentwicklung verstanden.
Bist Du bereits in der Personalentwicklung angekommen, dann weißt Du, man erwartet von Dir nicht nur einen langen Atem.
Vielmehr erwartet man auch Deine Bereitschaft, Dich durch fleißige Übernahmen von Zusatzaufgaben zu bewähren.
Niemand spricht es aus und doch stellt es niemand in Frage.
Niemand weiß, woher diese Annahme kommt, aber sie gilt wie ein Glaubenssatz:
Schaffst Du mehrere Zusatzaufgaben, dann qualifizierst Du Dich für eine Personalentwicklung.
Doch kommen wir zurück zum Kollegen oder Mitarbeiter, der sich entschließt, in Führung gehen zu wollen, wie es so schön heißt.
Er weiß, der Weg in die Personalentwicklung führt für den durchschnittlich engagierten und begabten Mitarbeiter über das Sammeln von Fleißkärtchen zum Erfolg.
Das ist nicht herablassend gemeint, es ist zähl- und damit leichter bewertbar.
Die Zusatzaufgabe ist ein wesentlicher Faktor für die Einschätzung Deiner Kapazitäten.
Denn Dein Umgang mit der Fülle von Aufgaben ist ein Indikator für Deine Belastbarkeit.
Du beweist damit Deine Fähigkeit, in der Komplexität der hierarchischen Struktur Deiner Organisation zu funktionieren.
Und Du beweist, in wieweit Du fortan am Erhalt dieses Systems mitzuwirken imstande bist.
Du übernimmst keine Zusatzaufgaben, ohne dass Deine bisherige Arbeitsweise sich verändert.
Du musst die Zeit, die Du zur Erledigung Deiner Sonderaufgaben brauchst, aus der Dir zur Verfügung stehenden Arbeitszeit gewinnen.
Die befriedigende Bewältigung der Zusatzaufgaben kostet ihren Preis und Du musst bereit sein, diesen Preis zu zahlen.
Um es vorweg zu nehmen:
Die Zeit für die Erledigung Deiner Zusatzaufgaben wird irgendwelchen Kunden nicht mehr zur Verfügung stehen.
Sei es internen oder externen Kunden.
Sei es die Anzahl der Kunden oder die Qualität, mit der Du berätst.
Oder es ist die Zeit, in der Du Dich mit Deinen Kollegen ausgetauscht hast.
Zeit, in der Du Psychohygiene betrieben oder Dich mit ihnen vergnügt hast.
In der Regel wird die Zeit, die Du Deinen externen Kunden widmest, weniger werden.
Diejenigen unter uns mit einer weniger entwickelten Kundenorientiertheit werden in ihrem Engagement für die ihnen anvertrauten Menschen nachlassen.
Jedenfalls wenn sie sich bis dahin engagieren mochten und es ihnen ein Bedürfnis war.
Denn sie konzentrieren ihre Energien aufs Fortkommen in der Personalentwicklung.
Sie werden die Gesetzmäßigkeiten der Karriereplanung in Behörden ähnlichen Strukturen erforschen.
Ein Anpassungsprozess wird einsetzen.
Die Wege der Personalentwicklung sind vorgezeichnet.
Sie stellen die Bedingungen und machen Vorgaben.
Die werdenden Führungskräfte werden sich darauf einstellen und sie werden auf diesen Wegen wandeln.
Damit wir uns nicht falsch verstehen, die Personalentwicklung zur Führungskraft kann ein herausforderndes Abenteuer sein.
Sie kann wertvolle Lebenserfahrungen mit sich bringen.
Aber Du ahnst, damit das Abenteuer gelingt, braucht es eine dringende Voraussetzung:
Du brauchst eine außerordentlich entwickelte Kundenorientiertheit.
Kundenorientiertheit ist nur aus Kundenbefragungen in Multiple Choice-Verfahren bekannt.
Das heißt, Kunden haben vorgegebene Antworten angekreuzt oder auf einer Skala zwischen 1 und 10 bewertet.
Und allenthalben sind die Ergebnisse von Kundenbefragungen wenig valide.
Das Werkzeug der Kundenbefragung wird mehr oder weniger unreflektiert aus den Überzeugungen überholter Marketingstrategien abgeleitet.
Nicht der Kunde ist König, sondern Deine Haltung zu ihm macht ihn zum König.
Als werdende Führungskraft in der Dienstleistungsbranche weißt Du um die alles entscheidende Bedeutung der Kundenorientiertheit.
Du wirst sie nicht Deiner Karriere opfern, sondern Du wirst sie zu ihrer Grundlage machen.
Infolgedessen machst Du Dich mit Deiner Kundenorientiertheit zum Pionier der Pflege einer künftigen Dienstleistungsorientiertheit nach innen und nach außen.
Nicht die Anzahl der Zusatzaufgaben entscheidet über den Erfolg Deiner Personal- und Persönlichkeitsentwicklung.
Vielmehr ist es die Fachlichkeit und Dein Grundlagenwissen.
Darüber hinaus ist es aber die Qualität Deiner Entscheidungen, mit denen Du die Prioritäten setzt.
Und es ist das Maß an Respekt und Wertschätzung, das Du mit Deinen Entscheidungen zu vermitteln vermagst.
Es ist die Genauigkeit, mit der Du die Bedürfnisse all Deiner Kunden zu bedienen verstehst.
Im Rahmen einer sogenannten Beauftragung darfst Du diese Rolle bereits spielen.
Wenn die Chefin krank ist, dann bist Du der Ansprechpartner für den Vorgesetzten Deiner Chefin.
Du musst ihn mit allerlei organisatorischen Antworten bedienen.
Häufig stellst Du Zahlenwerte zusammen, über die er seinerseits Rechenschaft ablegen muss.
Vielleicht musst Du auch Termine für Deine Chefin wahrnehmen.
Durchaus wird erwartet, dass Du diese Aufgaben zusätzlich zur Pflege Deines Sachgebietes erledigst.
Es gibt keine Alternative dazu, als die Qualität Deines Engagements in den Dienst Deiner Personalentwicklung zu stellen.
Aber Deine Haltung wird zum Ausdruck bringen, dass Du Dir dessen bewusst bist.
Und es gibt keine Alternative dazu, dass Deine Kunden im Rahmen Deines Zeitmanagements weniger Zuwendung erfahren.
Fazit
Kundenorientiertheit wirkt in alle Richtungen.
An allem Anfang steht das operative Geschäft mit Deinen sogenannten Arbeitnehmerkunden oder Arbeitgeberkunden.
Auch Deine direkten Kollegen, ander Mitarbeiter Deines Hauses sowie die unmittelbaren Vorgesetzten wollen bedient werden und sind interne Kunden.
Später kommen dann Kooperationspartner, Träger und andere Einrichtungen hinzu.
Auch zu deren Mitarbeitern stehst Du in einem Kundenverhältnis.
Dabei wirst Du die Qualität Deiner Kundenorientiertheit entwickeln.
Zwangsläufig wirst Du diese Haltung mit auf die nächste Ebene Deiner Personalentwicklung nehmen.
Daher zählt nicht die Anzahl der Zusatzaufgaben, die Du zu tragen imstande bist.
Es ist vielmehr die Aufrichtigkeit, mit der Du Dein Engagement auf die verfügbare Zeit verteilst.
Abonniere die Beiträge aus dem Amtsschimmel-Blog:
Ghania Ibelaidene meint
Herzlichen Dank für das Lob meines Artikels und Gratulation zu der sehr differenzierten Betrachtung von Zusatzaufgaben. Ich wünsche mir sehr, dass diese Form der Reflektion in mehr Amtsstuben Einzug hält und hoffe, dass Ihre Artikel lebhaft diskutiert werden.
Besonders gut gefällt mir die Kundensicht, denn die täte manchem Amt gut.
Schöne Grüße,
Ghania Ibelaidene
Michael meint
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und die Bestärkung der Sache,
das Beratungsgeschäft in unserer Behörde besteht sehr häufig aus Grenzerfahrungen. Nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Strukturen und Haltungen. Wir tun gut daran, uns dessen zu besinnen und Zeit darauf zu verwenden, unseren Standpunkt zu reflektieren. Und wie sehr unsere Kunden sowie wir selbst davon profitieren können.
Beste Grüße
Michael Mittelbach