Anlass zu dieser Reflektion möge eine kleine Geschichte sein, die ich hier beispielhaft zum Besten oder vielmehr zur Einsicht in gewisse Prozesse des VerwaltungsWesen gebe. Selbstverständlich handelt es sich auch in diesem Beitrag, wie in allen anderen auch, um die subjektive Wahrnahme des Verfassers, der sich seine Gedanken um die ihn umgebende Welt und die darin herrschenden Gesetzmäßigkeiten sowie die darin Handelnden macht. Im Vorfeld der Geschichte noch ein paar Informationen zur besseren Einordnung der geschilderten Geschehnisse:
In der Arbeitsverwaltung operieren unter anderem 2 voneinander getrennte sogenannte Behörden mit gemeinsamen Schnittstellen. Es handelt sich um die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Das spielt in unserer Geschichte insofern eine Rolle, als dass eine ‘arbeitsuchende Person’ (im landläufigen Sinne der Mensch mit bereits positiv beschiedenen Ansprüchen an die Arbeitsverwaltung) sowohl nach dem Rechtskreis des SGB II als auch gleichzeitig nach dem des SGB III und darüber hinaus nach dem des SGB IX sowie nach dem des SGB I Leistungsangebote erhält.
Eine solche ‘Kundin’ wie sie zurecht im offiziellen Sprachgebrauch genannt wird, weil es sich im kommerziellen Sinne um eine gewinnorientierte Firmenstruktur handelt, wird in dieser Geschichte von einem Berufsbetreuer, also einem rechtlichen Beistand für den Umgang und Schriftverkehr mit Ämtern und Behörden vertreten, sagen wir weil den Behörden zugetragen wurde, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihre Angelegenheiten nicht selbst zu besorgen vermag. Einem solchen Beschluss des zuständigen Amtsgerichts geht ein ärztliches Gutachten voraus, in dem der Bedarf einer gesetzlichen Betreuungsperson festgestellt wird, die, wenn nicht im persönlichen Umfeld der ‘Betroffenen’, sprich Familie oder Freunde gefunden, dann vom Gericht bestellt wird, der Berufsbetreuer. In unserer Geschichte geht das einher mit einer weiteren behördlichen Feststellung, nämlich dem Grad einer Behinderung durch das zuständige Versorgungsamt nach SGB I.
Aber nun zur eigentlichen Geschichte:
Ein Mitarbeiter des Arbeitgeberservice im Jobcenter (das ist eine Verwaltungseinheit aus behördlichen Ansprechpartnern für Arbeitgeber, die nach Arbeitskräften für ihre Unternehmen suchen) erhält von seinen Kollegen in der Agentur für Arbeit die Anfrage einer Arbeitgeberin nach (finanzieller) Förderung für die Aufnahme des sozialversicherungspflichtigen Praktikums einer jungen Frau. Die Arbeitgeberin ist bereits etwas ungehalten, da sie bereits seit Wochen versuche, diese Anfrage zu stellen, ohne Antwort erhalten zu haben.
Der Mitarbeiter zögert nicht und ruft die Arbeutgeberin an. Zunächst muss er sich ihren Unmut über die aus ihrer Sicht schlampige Kommunikation mit dem ‘Arbeitsamt’ gefallen lassen. Es handele sich schließlich um eine junge und motivierte Frau, die auf die ‘soziale Schiene’ wie sie sich ausdrückt geraten sei und es müsse doch auch aus Sicht der Behörden ein Interesse daran geben, dieser jungen Frau zu helfen. Sie ihrerseits habe jedenfalls auch ohne die Rückmeldung der Behörde eine Entscheidung getroffen und sie für ein Praktikum eingestellt, bezahle ihr dafür einen Lohn und beabsichtige, sie im Anschluss an ein Ausbildungsverhältnis zu übernehmen. Und sie wolle nun wissen, wie sie finanziell gefördert werden kann.
Im Hinterkopf des Mitarbeiters arbeitet ein Zusammenhangsdenken, das ihm darüber zu sprechen verbietet, was das laufende Praktikum der jungen Frau gefährden könnte: Weiß die Arbeitgeberin von ihrer Behinderung? Weiß sie von der eingeschränkten Rechts- und Geschäftsfähigkeit ihrer neuen Mitarbeiterin und welche Form der Förderung darf vor diesem Hintergrund überhaupt kommuniziert werden? Ist die Tätigkeit ‘leidensgerecht’, d.h. ist auf der Grundlage eines arbeitsmedizinischen Gutachtens die geplante Ausbildung zu befürworten, was Voraussetzung für eine Förderung wäre?
Dem Mitarbeiter ist klar, dass er sich mit konkreten Aussagen zu Fördermöglichkeiten „in Teufels’s Küche“ bringt.
Er verspricht möglicherweise mehr als er halten kann, er verstößt vielleicht gegen Vorbehalte des gesetzlichen Vertreters und gegen Empfehlungen des arbeitsmedizinischen Gutachtens, ganz zu schweigen davon, dass er die junge Frau vor der Arbeitgeberin kompromittiert und zuständige Kollegen aus den anderen Rechtskreisen übergeht. Gleichzeitig muss er dem Anspruch der Arbeitgeberin gerecht werden, eine angemessene Förderung zu erhalten für ihre Bereitschaft, eine junge Frau aus “der sozialen Schiene” zu helfen. Also lenkt er das Gespräch auf die Lohnkosten der Arbeitgeberin, die das Jobcenter als Einnahmen der ‘Kundin’ auf ihren Bedarf an Leistungen aus der Grundsicherung nach SGB II anrechnet.
Er schlägt ihr vor, den bereits abgeschlossenen Praktikumsvertrag mit der jungen Frau durch einen neuen Vertrag zu ersetzen, in dem sie statt des sozialversicherungspflichtigen Einkommens (auf Steuerkarte) lediglich eine Praktikumsvergütung in Höhe von 100 Euro erhält, da das sozialversicherungspflichtige Einkommen ihr ohnehin nur zu einem verschwindend kleinen Teil wegen der Anrechnungspraxis zugute käme. Gleichwohl wertschätze sie ihre Arbeit mit den 100 Euro, die sie anrechnungsfrei dazuverdienen dürfe. Außerdem erklärt der Mitarbeiter sich bereit, die weitere Kommunikation mit den Behörden zu begleiten und bietet ‘kurze Dienstwege’ zu zu weiteren behördlichen Schnittstellen an. Der neue Praktikumsvertrag sollte baldmöglichst zugestellt werden, damit die Kollegen aus der Leistungssachbearbeitung ihren letzten Bescheid mit dem angerechneten Einkommen durch einen neuen Bescheid ersetzen und eine Nachzahlung veranlassen.
So weit, so gut. Allerdings hat der Mitarbeiter die Rechnung ohne seine Kollegen aus der Leistungssachbeabeitung gemacht, weil er die Bearbeitungszeit des neuen Praktikumsvertrages unter-schätzt bzw. die Prioritäten der Kollegen falsch ein-schätzt, was aber die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns eröffnet, der später noch zu thematisieren sein wird.
Den neuen Praktikumsvertrag schickt die Arbeitgeberin absprachegemäß bereits am nächsten Tage dem Mitarbeiter zu, der seinerseits diesen Vertrag an seine Kollegen weiterleitet mit der Bitte um sofortige Bearbeitung, da es hier um notwendiges Geld für den Lebensunterhalt gehe und sonst das Praktikum und damit auch die Ausbildungsaufnahme gefährdet seien. Der Umstand der in Frage stehenden Existenzsicherung scheint ihm Grund genug, die sofortige Bearbeitung nicht in Frage zu stellen, zumal er zu Kollegen, Vorgesetzten und ‘Kunden’ gleichermaßen eine wohlwollende und höfliche Kommunikation ohne Forderungen und Schuldzuweisungen pflegt. Obwohl eine Rückmeldung der Kollegin ausbleibt, vergehen die Tage in der Zuversicht, die schwierige Situation sei zunächst entschärft.
10 Tage später meldet sich die aufgebrachte junge Frau bei dem Mitarbeiter und beklagt, sie habe noch immer keine Nachzahlung erhalten, sie wisse nicht, wovon sie Lebensmittel kaufen solle usf. Ein Blick in den Datensatz offenbart ihm, dass der neue Praktikumsvertrag offensichtlich zur Kenntnis genommen, weil bereits in die elektronische Akte hochgeladen worden war, aber zu keiner Reaktion, geschweige denn zu einer Nachzahlung geführt hatte. Der Mitarbeiter versucht vergeblich Kontakt zu seiner zuständigen Kollegin und ihrem Vertreter aufzunehmen. Schließlich schickt er an beide eine erneute Nachricht in seinem weiterhin wohlwollenden Tonfall, diesmal aber unter gleichzeitiger In-Kenntnis-Setzung ihres Chefs und seiner Stellvertretung und in der Hoffnung, von diesen 4 Personen werde sich sicherlich jemand melden, um sich der brenzligen Situation sofort zu widmen.
Als handele es sich um einen kollektiven Totstellreflex kommt zum wiederholten Male keine Rückmeldung,
nicht von der zuständigen Kollegin, nicht von ihrem Vertreter, nicht vom Chef und auch nicht von dessen Stellvertreterin. Der Mitarbeiter ist eigentlich ein alter Hase im VerwaltungsWesen, mit allen Wassern der Ermutigung und Wertschätzung seiner Gesprächspartner gewaschen und gewohnt, auf friedliche, wohlwollende und ehrenhafte Art und Weise die Wünsche und Ziele seiner internen und externen ‘Kundschaft’ realisieren zu helfen, aber … nun stellt sich Ratlosigkeit ein. Offenkundig wird die Sorge um Existenzsicherung hier einer höheren Priorität untergeordnet und die Motive dafür dürften wenig schmeichelhaft sein. Gleichwohl gibt es im Interesse aller an diesem Verwaltungsvorgang Beteiligten keine Alternative zur einvernehmlichen Lösung in Form eines neuen Bewilligungsbescheides und der damit verbundenen Auszahlungsverfügung.
Folglich kommt keine Konfrontation mit zweifelhaften Erfolgsaussichten in Betracht, denn Papier kann seeehr geduldig sein, sondern nur eine weitere informelle und auf zwischenmenschlicher sozialer Kompetenz ruhende Einflussnahme eines dafür geeigneten Kollegen.
Das sich nach außen kundenfreundlich aufstellende VerwaltungsWesen unterhält für Beschwerden seiner ‘Kunden’ ein sogenanntes Kundenreaktionsmanagement. Hier sitzt ein Kollege, ein mindestens ebenso alter Hase, dem alle Abläufe im VerwaltungsWesen vertraut sind, der mit Nöten, Ärger, Protest und Ungehaltenheit der ‘Kunden’ ebenso umzugehen versteht wie mit der immer wieder aus dem Ruder laufenden Menge administrativer Tätigkeiten der Kollegen.
Tatsächlich gelingt es dem ratlosen Mitarbeiter seinen Kollegen im Kundenreaktionsmanagement für eine informelle und wohlwollende Einflussnahme zu gewinnen. Der Anruf beim Chef der zuständigen Kollegin nimmt einen vielversprechenden Verlauf und es gelingt ihm, die mündliche Zusage einer Bearbeitung des Vorgangs innerhalb von 2 Tagen abzuringen. Und er hält sein Wort. Am nächsten Tage ist der neue Bewilligungsbescheid erstellt und die Zahlung des fehlenden Geldes veranlasst. Allen Beteiligten ist geholfen und niemand hat sein Gesicht verloren.
Nun kann man mit einigem Recht hinterfragen, ob der getriebene Aufwand dem erzielten Ergebnis gerecht wird. Für die Auszahlung eines mittleren 3-stelligen Eurobetrages zur Existenzsicherung werden die Energien und Arbeitszeiten einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Leuten gebunden, die für eine dem System dienliche Organisation und Abwicklung der Verteilung von geldlichen Ressourcen, also Privilegien, Funktion und Verantwortung übernehmen und sich mit mehr oder weniger großem Engagement dieser Aufgabe widmen.
Fazit
Vor dem Hintergrund des mitmenschlichen Vorstellungsvermögen der Mitwirkenden, auch Empathie genannt, kann man zweifelsohne von einem gemeinsamen Erfolg sprechen und sich auch daran erfreuen. Gleichwohl mögen diese Erfahrungen Anlass zur Neugierde auf weit mehr und Größerem sein, nämlich die Funktionsweise solcher Systematiken wie dem VerwaltungsWesen zu hinterfragen und dabei gleichermaßen von seiner Verstandestätigkeit wie wie von seinem Herzenswissen Gebrauch zu machen und sich beim Abenteuer auf dieser Erkenntnisreise führen zu lassen. In einem folgenden Teil wollen wir dann die Ergründung des VerwaltungsWesen vertiefen.
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