Um Inhalte für diesen neuen Beitrag aufzuspüren, bin ich dem Suchbegriff „Solidarität im Jobcenter” gefolgt.
Ich finde einen bemerkenswerten Beitrag, der für Mut zur Solidarität unter Grundsicherungsempfängern wirbt.
Die Qualitätsmedien bemühen sich häufig um Verständnis und Mitgefühl für unsere schwierigen Aufgaben.
Aber … empfinden nicht auch viele von uns Solidarität mit den Interessen der Menschen, für die wir in den Jobcentern zuständig sind?
Und das, obwohl
- wir gesetzlichen Rahmenbedingungen verpflichtet sind
- unser Arbeitgeber das Einverständnis mit den Zielvorgaben der Politik verlangt
- wir uns loyal gegenüber unseren Führungskräften verhalten
- uns das Sozialgesetzbuch mit zweifelhaften Sanktionsbefugnissen ausstattet
Können wir unsere Solidarität glaubhaft machen?
Wir können darüber noch so viel reden und uns in ein rechtes Licht stellen:
Unsere Solidarität muss sich im Handeln zeigen.
Sonst sind es nur Lippenbekenntnisse.
Vielleicht ist das der Grund, warum viele von uns lieber nicht darüber reden.
Sie wirken lieber im Verborgenen und im Kleinen.
Hier mal Fünfe gerade sein lassen. Da mal jemandem Worte in den Mund legen, die zu seinem Vorteil gereichen.
Oder ganz bewusst Dinge tun, die Schaden abwenden von den Menschen, die wir hier betreuen.
Diese Kollegen in ihrer Haltung bestärken und die Unentschlossene durch ermutigende Gedanken gewinnen.
Wir können gemeinsam solidarische Brücken bauen.
Auch wenn wir angreifbar werden, sowohl von eigenen Kollegen und Vorgesetzten als auch von unseren „Kunden”.
Die einen halten uns für träumerische Weltverbesserer ohne Durchsetzungsvermögen.
Die anderen schimpfen uns hörige Vollstrecker eines unmenschlichen Staatsapparates.
Dabei ist unsere Solidarität nach meiner Erfahrung im Tagesgeschäft immer sichtbar und präsent.
Aber sie ist eine Haltung, die wir eher unter 4 Augen leben als offen zu ihr stehen.
Ohne Zweifel gibt es Kollegen, die keine Solidarität mit den Kunden kennen.
Sie sehen nicht, dass uns mit den meisten Grundsicherungsempfängern wesentlich mehr verbindet als uns trennt.
Die meisten Kunden wie Mitarbeiter der Jobcenter wollen
- mit Respekt behandelt werden
- Teil der Gesellschaft sein, in der sie leben
- ihre materielle Existenz gesichert wissen
- ein gutes Leben für sich und ihre Familien haben
- Selbstachtung empfinden
Was braucht es, um das (an)erkennen zu können?
Sicherlich helfen eigene existenzielle oder Grenzerfahrungen mit dem Leben.
Sie tragen dazu bei, dass sich gewisse Kanäle der Wahrnehmungsfähigkeit und des Begreifens öffnen.
Aber viele erkennen auch ohne derlei Erfahrungen, dass wir mit den Kunden im selben Boot sitzen.
Mit einer solidarischen Haltung erleben wir Teile der Sozialgesetzbücher als wenig hilfreich für den Beratungsprozess.
Denn sie gehen mit Bevormundungen, Drohungen und Demütigungen einher.
Gleichwohl können wir eine Haltung zum Arbeitsauftrag entwickeln und pflegen, indem wir uns klarmachen
- welchen Begriff von Arbeit wir zugrunde legen wollen
- was wir von unseren Kunden erwarten
- ob wir sie bedrängen dürfen, mit uns zusammen zu arbeiten
Darüber sollten wir uns Rechenschaft ablegen können.
Wenn unsere Solidarität nicht nur ein Lippenbekenntnis sein soll.
Sind beispielsweise Sanktionen für uns kein hilfreiches Werkzeug für die Beratungsarbeit, dann müssen wir Wege finden, auf sie zu verzichten.
Wir müssen nicht warten, bis die gesetzlichen Rahmenbedingungen sich geändert haben.
Denn die Gesetze stellen es in unser Ermessen, welches Verhalten unserer Kunden wir wie bewerten.
Wir haben uns daran gewöhnt, viele Zustände als alternativlos zu begreifen.
Unsere Banken seien systemrelevant, die soziale Marktwirtschaft und die Politik alternativlos.
Wir könnten keinen Einfluss nehmen auf Vorgaben und sollten tun, was man uns sagt.
Handlungsspielräume werden von immer mehr Menschen als immer enger werdend wahrgenommen.
Dabei sind jegliche Rahmenbedingungen von Menschen erdacht und realisiert.
Ebenso wie alles andere, was uns als alternativlos dargestellt wird.
Alternativlos bedeutet, es gebe keine Verhaltensoption.
Aber das ist nicht wahr.
Und nach den Wegen, die Entwicklung zum Guten und Besseren bedeuten können.
Unsere Solidarität wird schlüssig, wenn wir den Unterschieden zu unseren Kunden auf den Grund gehen.
Und womöglich feststellen, dass diese immer kleiner werden, je genauer wir hinschauen.
Haben wir in mancherlei Hinsicht einfach mehr Glück gehabt? Durch die
- Familie, in die wir geboren sind
- Sozialisation, die wir genommen haben
- Bildung, die wir genossen haben
- Menschen, denen wir begegnet sind
- Möglichkeiten, die sich uns eröffnet haben
Oder befinden wir uns zufällig gerade auf der anderen Seite des Schreibtisches ohne Gewähr dafür, dass das auch so bleibt?
Und dann sind da die Erwerbseinkommen, die sich für unsere Kunden selten oberhalb der Armutsgrenze bewegen.
Während die Einkommen der Besserverdienenden und gar der Wohlhabenden bereits seit vielen Jahren um ein Vielfaches wachsen.
Gewerkschaften handeln Tarifverträge mit prozentualen Steigerungen aus, die die Einkommensschere immer weiter auseinander klaffen lassen.
Denn 4% Tariferhöhungen bedeuten nun mal für den Niedriglöhner rund 60 EUR und für den Besserverdienenden 300 EUR und mehr Einkommenszuwachs.
Viele auf Grundsicherung angewiesene Menschen glauben, wir wüssten nicht um diese Widersprüche.
Oder würden sie fortwährend ausblenden, während wir unsere Niedriglohnangebote feilbieten.
Dabei wird es für uns zunehmend unbefriedigender, uns mit derlei Umständen zu arrangieren.
Auch statistische Erfolgsmeldungen täuschen darüber nicht hinweg.
Auf Dauer motiviert die Erreichung geschäftspolitischer Ziele nur wenig.
Es geht um Menschen, nicht um Gewinnmaximierung oder die Eroberung von Absatzmärkten.
Es braucht unmittelbare und vor allem persönliche Erfolge, um daraus Zufriedenheit ableiten zu können.
Mit den immer gleichen Danksagungen am Ende eines Geschäftsjahres beglückwünscht oder täuscht sich die Führungselite selbst.
Wir werden das aber nicht mit Wertschätzung verwechseln.
Wertschätzung kann nur eine authentische Rückmeldung auf Aktivitäten sein, die wir selbst als richtig begreifen und empfinden.
Gleichermaßen erleben wir Erfolg als Ergebnis von Teamarbeit, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung unter Kollegen.
Arbeitszufriedenheit hängt in erster Linie vom Wohlbefinden jedes einzelnen im Team ab.
Wir begegnen sogar Führungskräften, die von einem Gefühl der Solidarität mit ihren Mitarbeitern und dem Team beseelt sind.
Der Chef, der seine Führungsrolle auf Hierarchie baut, ist ein Anachronismus.
Er ist den Anforderungen moderner Führung nicht gewachsen.
Er hat gelernt loyal zu sein, aber vergessen, was Solidarität bedeutet.
In unseren großen (Behörden)-Organisationen haben wir viele loyale Chefs.
Sie wachen darüber, dass wir den unermesslich vielen Verwaltungsaufgaben nachkommen.
Im Behördenapparat wird viel Fleißarbeit geleistet. Dabei hilft der Dienst nach Vorschrift.
Aber es gibt gleichermaßen viel Solidarität mit den Menschen, die wir als unsere Kunden bezeichnen.
Wären die Angebote an unsere Kunden alternativlos, dann könnten wir aufhören, gute Wege finden zu wollen:
- was eine sinnvolle Aufgabe sein könnte
- was ein Mensch tun sollte, um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erreichen
- wie man ihn motivieren kann, sich auf den Weg zu machen
- ob man einfach mal die Menschen so lässt, wie sie sind
Für die Menschen, die mir gegenüber sitzen, empfinde ich Solidarität.
Ihre Fragen sind mir vertraut, weil ich sie aus eigener Erfahrung kenne.
Und ich kenne das Schweigen, das sich einstellt, wenn die Fragen verschwinden und damit auch die Perspektive.
Viele haben zurecht großes Misstrauen, wenn sie ins Amt kommen.
Denn häufig sind wir nicht persönliche Ansprechpartner sondern eine immer andere Person.
Wir sind nicht transparent, haben wenig Zeit und lassen unser Gegenüber im Unklaren über unsere Absichten.
Die Sozialgesetzgebung ermächtigt uns, fehlendes Wohlverhalten mit Sanktionierung des Existenzminimums zu bestrafen.
Aber viele von uns lassen sich dazu nicht hinreißen.
Denn es wäre ein Ausdruck von Schwäche, die vorhandene Macht und Autorität gegen die Menschen zu verwenden.
Ich für meinen Teil mag
- aggressive Menschen, die sich zur Wehr setzen, auch wenn ich mich bisweilen von ihnen abgrenzen muss.
- ehrenwerte Menschen, die sich nicht dafür hergeben wollen, für einen Mindestlohn einem Arbeitgeber auf Abruf bereit zu stehen.
- intelligente Menschen, die mir erklären, wie ihr Leben auch ohne mein Dazutun funktioniert.
- Menschen, die Vorstellungen davon haben, wie eine Welt ohne Repression und Unterdrückung aussehen könnte.
Ich empfinde Solidarität mit meinen Kunden, denn ich sitze mit ihnen im selben Boot.
Auch wenn wir als Repräsentanten eines Systems gesehen werden, das Menschen bedrängt.
Sie wie im offenen Strafvollzug behandelt und ihnen Würde und Selbstachtung nimmt.
Leider haben unsere Kunden in viel zu vielen Fällen auch noch recht damit.
Die Ethik des SGB II ist in mancherlei Hinsicht mehr als fragwürdig.
Unsere Sozialgesetzgebung treibt einen tiefen Keil zwischen uns Mitarbeitern und den Menschen, die wir zu ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beraten.
Es wäre eine große Dummheit, wenn wir unsere niedrigsten Instinkte bedienen würden.
Und uns auf die Vollstreckung der fragwürdigsten Aspekte des SGB I und II konzentrieren.
Denn sie tragen dazu bei, dass wir unsere Solidarität verlieren!
Fazit
Wir sitzen auf der anderen Seite des Schreibtisches.
Aber wir sind deswegen nicht die Vorkämpfer einer fragwürdigen Verteilungspolitik.
Und wir sind auch nicht Verfechter eines unwürdigen Menschenbildes.
Wir können gemeinsam Wege finden aus den Widersprüchlichkeiten von gelebter Mitmenschlichkeit und geschäftspolitischen Zielen.
Lasst uns benennen, was uns verbindet und mutig dazu stehen, wenn Solidarität gefragt ist!
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