Menschen spielen Theater zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.
Sie stärken ihr Selbstbewusstsein durch die Auseinandersetzung mit persönlichen Themen.
Die Arbeit an sich selbst fördert die Entwicklung einer Haltung.
Die Darstellung der Rolle auf der Bühne und vor Zuschauern ist ein großes Ereignis.
Jobcenter beauftragen private Institutionen mit Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeit suchenden Menschen.
Dabei dürften die innovativsten Anbieter diejenigen sein, die an das Entwicklungspotenzial von Menschen andocken.
Und Wege finden, sie für ihre Projekte zu begeistern.
In den Projekten werden die mehr oder weniger vor erfahrenen Teilnehmer Teil eines Teams zur Realisierung eines Bühnenstücks.
In diese Projekte bringen sie ihre eigenen Anregungen, Anschauungen und Konflikte ein.
Ich durfte solchen Aufführungen im Rahmen eines Projektes zum wiederholten Male als Zuschauer beiwohnen.
Die erste Präsentation nach etwa 4 Monaten Projektarbeit war geprägt von den persönlichen Fragen der Darsteller an das eigene Leben.
Den Zweifeln an den eigenen Möglichkeiten, der Reflektion bisheriger Lebenserfahrungen und den aktuellen Umständen ihrer Lebenswirklichkeit.
In dieser ersten Produktion präsentierten die Teilnehmer ihre mitunter sehr persönlichen Episoden.
Voller Anspielungen auf Motive und Rahmenbedingungen des Lebens als Hartz-IV-Empfänger.
Sie spielten mit Stereotypen und ihren persönlichen Neigungen.
Und die Werkschau wurde wirkungsvoll inszeniert.
Mit Licht, Ton, Requisite und Kostümen.
Es war ein Vergnügen zu sehen, wie sehr sich die Teilnehmer mit ihrer Arbeit verbunden hatten.
Mit all den Herausforderungen persönlicher und sozialer Natur.
Und wie sie Verantwortung für ihr Projekt übernommen hatten.
An weiterführenden Schulen, insbesondere an Waldorfschulen gilt das Theaterspiel bereits seit vielen Jahrzehnten als eine vorzügliche Methode umfassender Bildung und Persönlichkeitsentwicklung.
Es ist für alle Schüler verbindlicher Inhalt des Lehrplans.
Theaterpädagogik gilt auch als Maßnahme zur Erst- oder Wiedereingliederung von arbeits- und / oder auch ausbildungslosen jungen Menschen.
Später kam dann die Zielgruppe der Alleinerziehenden hinzu.
Und nun sollen auch Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen von diesem Ansatz profitieren.
Private Anbieter theaterpädagogischer Konzepte argumentieren mit hohen Vermittlungsquoten.
Während des Trainings und der Entwicklung des Theaterstücks kümmern sich Jobcoaches um die Teilnehmer.
Sie begleiten die Maßnahme mit Aktivitäten rund um den Prozess einer Stellensuche. So weit so gut.
Ich besuchte nun also die 2. Aufführung im Rahmen des Projektes.
Einige Teilnehmer waren ausgeschieden, weil sie zwischenzeitlich eine Stelle angenommen hatten.
Andere waren neu hinzugekommen, um wieder auf die vorgesehene Anzahl der Teilnehmerplätze aufzustocken.
Wir Mitarbeiter des Jobcenters sind eingeladen, darüber hinaus Führungskräfte bis hinauf zur Geschäftsführung sowie der Stadtdirektor unserer Stadt.
Heute scheint viel auf dem Spiel zu stehen.
Die Aufführung findet in einem Hafengebäude, der sogenannten Maschinerie statt.
Damals ein Zentrum harter körperlicher Arbeit, heute Spielstätte von Industriekultur.
Es ist düster, spröde Betonräume ohne Fenster.
Weißer Schriftzug auf blauem Grund inmitten von kreisförmig angeordneten fünfzackigen Sternen.
Das Plakat lässt erahnen, dass es heute um Europa, um Grenzen, vielleicht auch um Verteidigung geht.
Ich bin ich neugierig, halte an meiner Unvoreingenommenheit fest.
Alles ist sehr umsichtig und vorausschauend organisiert.
Die Gäste erhalten ein „Visum” als Eintrittskarte in die Schengener Staaten und ein Programmheft.
Wir werden zunächst in die Bar geführt, nehmen dort ein Getränk, können uns begegnen und ankommen.
Dann geht es los. Wir betreten den Aufführungsraum.
Bei der „Passierstelle” zeigen wir unser Visum (nicht unseren Pass!) und erhalten eine Eintrittskarte.
Ein blauer Beutel wird gereicht. Was mag drin sein?
Ich komme erst sehr viel später dazu, mir das Geschenk anzuschauen.
Dann passieren wir 2 Darsteller, die uns als Grenzposten auf unsere Mitbringsel kontrollieren.
Die Geschäftsführung des Maßnahmeträgers, die Geschäftsführung des Jobcenters und der Stadtdirektor sprechen Grußworte.
Der eine liest seine Worte vom Blatt ab, der andere hat sich doch nicht so gut vorbereitet, wie es klingt.
Das Stück ist ein „medial-szenischer art-walk”.
Das Publikum wird von Bühne zu Bühne geführt.
Uns erwarten im Wechsel 16 Performances und Filmepisoden.
Die Zuschauer werden 90 Minuten auf den Beinen sein.
Um es vorweg zu nehmen:
Die Leistung der Teilnehmenden und der Projektverantwortlichen verdient größten Respekt und Wertschätzung.
Die politische Botschaft verdient eine sachliche und unvoreingenommene Analyse.
Und einen wachen und kritischen Blick.
Die Beantwortung aufgeworfener Fragen wird sonst leichtfertig von Begeisterung überlagert.
Und die Sicht auf die Geschehnisse in der Welt wird schnell irritiert und schlimmstenfalls in die Irre geführt.
Ich werde mich auf einige Inhalte und die damit verbundenen Botschaften konzentrieren.
Es sind diejenigen, die mir im Gedächtnis blieben, weil sie mich am meisten beschäftigt haben:
Mehrmals taucht das Motiv des an Land gespülten toten Kindes auf, das um die Welt ging.
Es berührte Millionen von Menschen und seine Wirkung auf uns kann gar nicht überschätzt werden.
Das Foto wurde zum Inbegriff unserer Verpflichtung zur Solidarität mit der Wanderungsbewegung von mindestens einer Million Migranten.
Es hat uns mitten ins Herz unseres Mitgefühls mit der Menschheitsfamilie getroffen.
Für die meisten von uns ist es einfach UNVORSTELLBAR, dass dieses Foto das Ergebnis eines inszenierten Ereignisses gewesen sein könnte.
Dass es nicht Ausdruck dessen war, was uns fast alle Medien glaubhaft versicherten.
Mitgefühl ist etwas, was uns eint und was uns solidarisch fühlen lässt.
Unsere Bildung sieht nicht vor, dass wir lernen, auch in solchen Momenten einen klaren Kopf zu bewahren.
Und weil wir das nicht gelernt haben, macht uns unser wunderbares Mitgefühl so irritierbar und manipulierbar.
Leider bediente die Inszenierung lediglich den Mainstream.
Keine Fragen an die Wahrhaftigkeit dessen, was wir zu sehen bekommen.
Keine Fragen nach den Hintergründen.
- Warum hat es sich beim Großteil der Migranten um junge Männer gehandelt?
- Wie ist die Unrechtmäßigkeit der Öffnung der europäischen Grenzen zu bewerten?
- Warum hatten die die meisten Migranten bei ihrer Einreise keine Pässe mehr?
Man könnte die Liste beliebig erweitern.
Was könnte die Bühne leisten, wenn sie der Unvoreingenommenheit und der Wahrhaftigkeit dienlich sein wollte?
Sie würde einer Auseinandersetzung den Schutz bieten, den eine aufrichtige Begegnung mit diesen Themen dringend braucht.
Insbesondere den Schutz vor Diffamierung, Ausgrenzung und Spaltung.
In einer Episode namens „Der große Austausch” wird offenkundig, warum es kaum noch Schutzräume für alternative Meinungen gibt.
Vater und Mutter sitzen am Tisch und thematisieren die Ereignisse in Chemnitz.
In der Mitte der beiden der Großvater, der zitternd seine Suppe schlürft.
Die Eltern skandieren den geplanten und sich verwirklichenden Austausch der Bevölkerungen und ereifern sich in Parolen.
Der Sohn kommt dazwischen, leidet unter den Gesprächen der Eltern, die ihn demütigen.
Er sorgt dafür, dass der Großvater zu Wort kommt, obwohl er vor Altersschwäche kaum seine Stimme erheben kann.
Gleichwohl röchelt der Greis in Erinnerung an seine Jugend, dass sich heute das Gleiche abspiele wie vor der Machtübernahme von Hitler.
Und er erklärt uns, dass es die „Rechten” die ganze Zeit gegeben habe.
Diese Menschen, die nur darauf warteten, ihren Hass wieder proklamieren zu können.
Der Sohn ist verzweifelt und verlässt fassungslos die Bühne des Geschehens.
Zurück bleibt die schwere Anklage des Großvaters an die Demonstranten in Chemnitz.
Ihren Protest rückt er in die Nähe faschistoiden Denkens und Handelns.
Und er mahnt das Publikum, sich dagegen zu wenden.
So wird das Thema „Der große Austausch” mit dem Etikett rechtsextremer Verschwörungstheorien versehen.
In der Einzelszene „Sicherheit” marschieren die Eigenschaften von Europa laut, schrill und bedrohlich an den Grenzzaun.
Wir die Zuschauer befinden uns jenseits der Grenze und sie erklären uns, wofür sie stehen.
Sie haben ihre Herkunft, Werte und Ansprüche.
Sind geschichtliche Ereignisse, Personen, unterschiedliche Sprachen.
Stehen für Kultur, Wirtschaft, Demokratie, Freiheit.
Und sie nennen den Fremden auf der anderen Seite die Bedingungen für ihre Gastfreundschaft.
Respekt, Anpassung, Eingliederung. Man möchte meinen, dass man sich dafür nicht schämen müsste.
Allerdings kann man sich dem herrschsüchtigen Vortrag kaum entziehen, so befehlend und gebieterisch kommt er daher.
Wer von uns will schon mit der Last unserer Geschichte einen solchen Eindruck in der Welt hinterlassen?
Unüberhörbar appelliert die Szene an unser schlechtes Gewissen, das man uns seit frühester Kindheit suggeriert.
Kosmopoliten können den Rückzug des Einzelnen in seine kleine heile Welt nicht akzeptieren.
Sie müssen ihn als Flucht interpretieren.
Als Ausdruck von mangelhaftem Mut vor der Wirklichkeit, die ja ach so kompliziert ist, dass sie die Bürger von Europa nicht verstehen.
Es stört mich, dass immer und immer wieder auf unsere Unkenntnis von den großen Zusammenhängen abgestellt wird.
Es ist eine Masche, die uns bei unserer Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit abholt und nichts mit politischer Aufklärung zu tun hat.
Im Finale wird das stimmgewaltige Europa von seinen Bürgern nicht mehr gehört.
Sie haben sich abgewendet. Es zerrt die Bürger herbei, die sich aber immer wieder lösen und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen.
Europa gibt sich viel Mühe, uns von seinem Wohlwollen und seinem Selbstverständnis als Diener seiner Bürger zu überzeugen.
Wir sind gerührt, weil Europa als menschliches Wesen daherkommt.
Es will uns für seine Sache gewinnen.
Und dann begeisterter Beifall über die Darbietung.
Und mit Recht. Wirklich ein großartiges Projekt. Respekt!
Meine Irritation und Besinnung wird erst zu Hause durch den Inhalt des blauen Beutels genährt.
Wir Zuschauer hatten brav unsere Beutel durch das ganze Stück hindurch getragen, von Act zu Act.
Zu Hause erlebte ich dann mein blaues Wunder. Und manches wurde mir klarer und begreiflicher.
Die Tasche war voller Werbematerial aus der Presseabteilung der Brüsseler Europa-Zentrale.
Ein Fähnchen aus Papier, Aufkleber in verschiedenen Sprachen, ein Faltblatt mit Europakarte und Reisebestimmungen und …
eine Broschüre über Werte, Funktionsweise und Ziele der Europäischen Union.
Aufbereitet für die Zielgruppe der 14 – 18 jährigen.
Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit politischer Entscheidungen auf europäischer und nationaler Ebene stehen auf dem Spiel.
Die Menschen verlangen nach Wahrnehmung ihrer Interessen und Lebensäußerungen.
Das ist, was das Stück eindringlich zum Ausdruck gebracht hat.
Und eben diese Menschen erhalten als Antwort Nachhilfeunterricht, da sie die große und ganze Idee Europa eben nur noch nicht verstanden haben.
Folgerichtig werden Broschüren für Heranwachsende verteilt.
Demonstrationen für Recht auf freie Meinungsäußerung und Kritik an gegenwärtigen Entwicklungen wird mit Schulungsbedarf begegnet.
Welch eine herablassende Form des Gesprächsangebots!
Es ist verstörend, mit welcher Selbstverständlichkeit wir zu Empfängern propagandistischer Botschaften erklärt werden.
Dabei dürfte die Kunst doch mit Forscherneugier und Wahrhaftigkeit dem tragischen Selbstzweifel, der Ungewissheit und den Sorgen der Menschen begegnen.
Und sie dürfte all das inszenieren, was den Menschen stark macht, ihn selbstsicher werden und wachsen lässt.
Leider haben sich die Projektverantwortlichen stattdessen eindeutig positioniert und lassen keinen Zweifel an ihrer Haltung.
Manipulation statt Aufklärung, schöner neuer Mainstream statt Meinungsvielfalt.
Mit Sicherheit ist das Thema des Stücks nicht zufällig aus dem gruppendynamischen Prozess der Teilnehmer an der Theatermaßnahme erwachsen.
Bereits mit der Wahl der Vorlage für das Stück stand seine politische Stoßrichtung fest.
Es handelt sich um die aktuelle Arbeit des Regisseurs Falk Richter.
Ihm und der Schaubühne wurde in zweiter richterlicher Instanz verboten, in seinem Stück die Persönlichkeitsrechte der Schriftstellerin Gabriele Kuby zu verletzen.
Soweit geht es in diesem Stück nicht. Hier wird niemand in seinen Rechten verletzt.
Die hiesigen Protagonisten werden NUR in den Dienst der politischen Sache gestellt.
Fazit
Der Wert der Theaterpädagogik für die Stärkung der Persönlichkeit des Menschen kann nicht überschätzt werden.
Die Meisterleistung einer Inszenierung ist für alle Beteiligten eine wunderbare Erfahrung.
Sie setzt Kräfte frei und macht aus Teilnehmern an einer solchen Maßnahme Gestalter.
Solche Erfahrungen entfalten Wirkung auf die persönliche Entwicklung.
Die Bürger der EU-Mitgliedstaaten diskutieren die Förderung der Migration von Millionen von Menschen kontrovers.
In den Medien findet dieser Diskurs nicht statt.
Die Befürworter bekämpfen die Gegner mit Verleumdung und Diskreditierung.
Wenn das Theater eine ebensolche Botschaft sendet, dann verfolgt es handfeste Interessen oder es macht sich unbewusst zum Instrument von Meinungsmanipulation.
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