
„Es ist eine andere Welt, in der man zwischen »Freiheit« und »Freizeit« nicht unterscheiden kann, »Gesellschaft« sagt und »Zielgruppe« meint, von einem »Konzept« spricht und nicht einmal eine »Idee« besitzt, von einer »Idee« spricht und nicht einmal einen Einfall hat.“
Roger Willemsen
Es gibt verführerische Angebote zum Glücklichsein im Job der Vermittlungsfachkraft. Ein sicher scheinendes mittleres Einkommen, flexible Arbeitszeiten in der Regel zwischen 6 und 18 Uhr, meist ein eigenes Büro, sehr allgemein und auf das Teamergebnis bezogene numerische Zielvorgaben, Gestaltungsmöglichkeiten inhaltlicher Gesprächsführung, ja wir können sogar unsere individuell ausgeprägten Umgangsformen mit unseren Mitmenschen ausleben und aus der Wertschätzung dieser Leute Zufriedenheit gewinnen. Kurzum, die meisten Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, insbesondere in der Arbeitsverwaltung, leben in bescheidenem wirtschaftlichen Wohlstand und in Sicherheit und Zufriedenheit.
Darüber hinaus kennen wir natürlich mehr oder weniger verführerische Suchtstoffe wie mehr Geld, Einflussmöglichkeiten auf Prozesse in der Institution, Anerkennung durch vermeintliche Autoritäten, Aufstieg in einer für wahr genommenen und verinnerlichten sozialen Hierarchie, Privilegien gegenüber Anderen, aber auch Wertschätzung des eigenen Könnens und Wissens von Vorgesetzten und Kollegen, Freude im Umgang mit ihnen und den “Kunden”, wie man in kommerziellen Zusammenhängen so sagt und das Gefühl, dass man seinen Job richtig und gut macht. Je nach persönlicher Neigung und eigener Sozialisierung tragen wir an der Last unseres persönlichen Konfliktpotenzials und machen in der Zusammenarbeit mit den Kollegen und ‚Ratsuchenden‘ unsere Erfahrungen, lernen möglicherweise am (beruflichen) Leben und können Aspekte unserer Persönlichkeit oder präziser gesagt unseres Selbst ent-wickeln.
Nun sind wir in den vergangenen 2 Jahren auch außerhalb unserer Tätigkeit in einer behördenähnlichen Verwaltung mit ständig sich ändernden Weisungslagen zu unserem Verhalten in der Öffentlichkeit, ja sogar in der privaten Lebensführung konfrontiert worden. Wann wir uns mit wem und wo treffen, wieviel körperlichen Abstand wir dabei zueinander halten, unter welchen Bedingungen wir einkaufen oder wo wir uns aufhalten dürfen … all dies wurde auf eine nie dagewesene Art und Weise und in einem weltweiten Umfang manchenorts mehr andernorts weniger oder zu verschiedenen Zeiten auch umgekehrt reglementiert und sanktioniert.
Die meisten Menschen glaubten an die medial verbreiteten Narrative und folgten bereitwillig den über sie verfügten Maßnahmen. Auf der anderen Seite aber wurde der Bruch zwischen Fiktion und Wirklichkeit in einer nie dagewesenen Größenordnung hinterfragt. Das äußerte sich in Protesten gegen die Politik und Gesundheitsmaßnahmen, familiären Spannungen, Veröffentlichung von verborgenen Informationen, hitzigen Debatten auf den medialen Bühnen und vielem mehr.
Wir entdeckten, dass unser logisches Denkvermögen an Grenzen unseres Verständnisses von Zusammenhängen führt, denen Annahmen zugrunde liegen, die wir niemals hinterfragt haben, weil sie uns als selbstverständlich erschienen und neuerdings mit großem Aufwand gegen Infragestellung geschützt werden. Zensur, Beschimpfung, Diffamierung, Ausgrenzung und Bestrafung derer, die auf angreifbare Weise hinterfragten, legen Zeugnis davon ab. „Dialogbereitschaft“ war ein Mittel der Kommunikation, solange die Annahmen vom Funktionieren aller Teile der Konstrukte, die wir Staat, darin handelnde Personen und Organisationen, Gesetze, Verwaltung nennen und viele bis auf den Einzelnen wirkenden Strukturen von ähnlichen Vorstellungen über die zugrunde liegenden Annahmen geprägt war und man sich dieser Voraussetzungen gewiss sein durfte.
Das war das Wesen der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“, gleichermaßen einem Konstrukt für die Organisation des Gemeinschaftslebens, dem sich die große Mehrheit der westlich geprägten Bevölkerung verbunden und darüber hinaus sogar berufen fühlt, es gegen Infragestellungen zu verteidigen. Wir sind mit der Illusion einer solchen Beschaffenheit unserer Lebensumgebung und unseres Denkens aufgewachsen und sozialisiert oder vielmehr kollektiviert worden, aber die Auflösung der bestehenden Strukturen ist nun unübersehbar, sowohl der Strukturen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, als auch unserem Zusammenhangsdenken, das keinen Halt mehr findet in den Erklärungsmodellen von gestern, weil auch wir oder vielmehr unser Bewusstsein sich in Entwicklungsprozessen befindet.
Die Strukturen der Verwaltung haben einen außerordentlich hohen Organisationsgrad und agieren grundsätzlich klassifizierend, reglementierend, steuernd. Ihre pyramidale Ordnung ist stellvertretend für das mechanistische Wesen unserer Denk- und Handlungsgewohnheiten. Sinnhaftigkeit wird über den Grad der Funktionstüchtigkeit der Abläufe abgeleitet und folglich werden die Mitarbeiter darin geschult, dieser Ordnung zu dienen. Das ist an und für sich nicht verwerflich, denn es ist ein Modell mit jahrhundertealter Geschichte und ein Versuch, das Zusammenleben der Menschen vor dem Hintergrund mehr oder weniger bewusster Annahmen zu steuern. Fraglich dürfte hingegen sein, inwieweit das Modell tatsächlich den Menschen dient, und zwar Mitarbeitern, Führungskräften, Kunden und Betroffenen, die in diesen Zeiten verstärkt nach dem Preis ihrer Anpassungsbereitschaft fragen oder etwas schärfer formuliert:
Was ist der Sünde Sold?
Wir sind als Mitarbeiter eingeladen, uns hinter den Teamergebnissen zu verstecken. Niemand wird persönlich zur Verantwortung gezogen, solange er mit seiner Arbeitsleistung dem Großen und Ganzen, dem Kollektiv dient. Bis zu einem gewissen Grade darf er sogar seinen Unmut äußern, darf sich empören und auch sein Ungerechtigkeitsempfinden mitteilen. Die Schwachstellen des Systems dürfen konkret benannt werden, denn wir sind ihm ausgeliefert, weil es auf einer bestimmten Ebene des grundsätzlichen Verständnisses, auf der Ebene der zugrunde liegenden Annahmen immer alternativlos zu sein scheint.
Die Antworten auf unsere Fragen bleiben im Dickicht vorgefertigter und immer gleicher Rechtfertigungsversuche und Lösungsansätze stecken. „Das kommt von oben, da können wir nichts machen” oder „Das ist ein sehr komplexer Zusammenhang, den wir nicht in Gänze verstehen“ oder „Wir sollten das erstmal ausprobieren und dann kritisieren und verbessern“ sind nur wenige Beispiele für unbefriedigende Begründungen für das Festhalten an den vertraut und bequem gewordenen Strukturen. Mehr noch, sie erscheinen uns zunehmend unaufrichtig, weil wir einsehen müssen, dass alle Mitarbeiter der Institution gleichermaßen in der Zwickmühle vorgefertigter Denkrahmen und fremdbestimmter Systematiken stecken, die wir irgendwann aufgehört haben, in Frage zu stellen. Freilich täuschen sich die meisten Menschen noch darüber hinweg, lassen ihren Geist mit fragwürdigen Erklärungsmustern sedieren oder berauschen sich gar an Phantasien von Alternativlosigkeit, Beherrschbarkeit und naivem Optimismus.
Den aufgeschlosseneren Beobachtern unter uns aber geschieht im Grunde das Beste, was uns passieren kann … wir sind enttäuscht. Wir waren das Opfer einer Täuschung und werden der Tatsache gewahr, dass wir uns getäuscht haben. Das birgt die Aussicht auf eine Ent-wicklung nach Aufdeckung der Täuschung, die zu einer Ver-wicklung geführt hatte. Diese Möglichkeit muss allerdings erstmal realisiert werden können, denn unser Denken, Fühlen und insbesondere unser Handeln wurden so konditioniert, dass jeder auf seiner individuellen Irrtums-Ebene an seiner Ent-Täuschung leidet, selbst wenn er sich auf “Dienst nach Vorschrift” zurückzieht oder Wege findet, seinen Arbeitsalltag mit Sinn zu füllen, ohne sich von den systemisch vorgegebenen Anreizen locken zu lassen.
Und dann sind ja auch der Täuschungsfallen viele, sofern man sich auf Wahrheitsquellen außerhalb seiner selbst beruft. Sie sind zudem vielschichtiger Natur, denn es verbergen sich hinter den auch immer wahrheitsgemäßen Anteilen der unsere Aufmerksamkeit bedienenden Informationen und der unser Denken, Fühlen und Handeln leitenden Überzeugungen auch fragwürdige Anteile, die uns abzulenken, zu irritieren und uns sogar völlig fehlzuleiten vermögen.
Gleichwohl wird für die meisten wahrhaft Ent-Täuschten diese Erfahrung immer Anlass zur Weitersuche bleiben, egal wie wir mit ihr umgehen. Manchmal wird sie zur Sucht, sucht Ablenkung von diesem wahrhaftigen Lebensimpuls und verfestigt zunehmend wenig förderliche Gewohnheiten; manchmal führt sie zu Ignoranz oder Resignation, sie wird abgespalten wie ein Trauma, das nicht verarbeitet werden kann und irgendwann tatsächlich unantastbar wird. Und bei wieder Anderen wird sie zunehmend stärkendes und ermutigendes Motiv, von dem loszulassen, was sie als unwahr, als Illusion erkannt haben.
Dem sich entwickelnden Geist des nach Antworten Suchenden (der heute bei den meisten Menschen in vielerlei Hinsicht auf einer vorpubertären Entwicklungsstufe steckengeblieben zu sein scheint) werden auf mannigfaltige Weisen Angebote gemacht, mit den offenen Fragen umzugehen. Irgendwann haben wir sie alle geprüft und stoßen dabei an die immer gleichen Grenzen, die uns empören, sprachlos machen und schließlich deprimieren. Die Gründe, warum es nicht so geht, wie es doch in unser aller Interesse wäre, verflüchtigen sich im Ungreifbaren und entziehen sich damit unseren Begriffen, unserem Zugriff mit Worten und damit letztendlich unserem Begreifen.
Bis wir erkennen, dass wir all die Zusammenhänge immer auf einer Ebene versuchten zu verstehen, die unserer Perspektive als Betroffene, als Teil dieses institutionellen Systems entspricht. Wir gehen z.Bsp. davon aus, alles richtig zu machen, wenn wir die an uns gestellten Anforderungen erfüllen bzw. den Vorgaben unseres Arbeitgebers gerecht werden und hinterfragen Zusammenhänge, sofern sie das eigene Arbeitsgebiet betreffen und für die Erledigung von Aufgaben notwendig sind. Es fällt uns nicht leicht, gleichzeitig außerhalb dieses Wahrnehmungsrahmens das Geschehen zu beobachten, es in einen größeren Bedeutungszusammenhang einzuordnen, der nicht persönlichen Befindlichkeiten, sondern tatsächlichen Ursachen und Wirkungen geschuldet ist.
Solange wir der Illusion verhaftet sind, die Systematik, also das bestehende Funktionssystem unserer Institution sei tatsächlich durch organisatorische Maßnahmen in befriedigender Weise optimierbar, haben wir den wesentlichen Mangel dieser Systematik noch nicht realisiert. Dann werden wir uns immer wieder, wenngleich ‘zähneknirschend’ den immer gleichen Maßnahmen ergeben, die uns als fortschrittliche Wendepunkte, als Modernisierungen und Reformen angeboten werden, während sie sich nach einer gewissen Zeit als “alter Wein in neuen Schläuchen” oder erneut als reformbedürftig erweisen.
Die Wiederholungen von Problemlösungsstrategien und in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend medial inszenierten Veränderungsprozessen (Kommerzialisierung, Klimawandel, Vielgeschlechtlichkeit und neuerdings das Gesundheitsprimat sowie die Inflation) können einem aufmerksamen Beobachter auf Dauer nicht entgehen, auch wenn sie den Anschein des Neuen und Notwendigen erwecken. Als Beispiel seien hier nur älteren Mitarbeitern sehr wohl bekannte Organisationsmodelle aus vergangenen Zeiten genannt, die vor 30 Jahren aufgrund von Reformbemühungen ‘modernisiert’ wurden, um nun wieder den alten Modellen zu weichen. Es ist lediglich unserer Selbstvergessenheit, unserem fehlenden Bewusstsein für das Wesen dieser systemimmanenten Veränderungsprozesse und unserem Verhaftetsein geschuldet, dass wir uns von Marketingstrategien wie ‚Wir wollen immer besser werden im Umgang mit uns und unseren Kunden’ in die Irre, in die Verwirrung führen lassen.
Nicht zuletzt gehen diese Veränderungsprozesse mit inflationärem begrifflichen Gebrauch wünschenswerter menschlicher Empfindungen wie Mut, Freude, Respekt, Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung einher und suchen dabei unsere wahrhaftigen inneren Impulse nach Ent-wicklung von Sinnhaftigkeit, Verständnis, Mitgefühl und Verantwortungsgefühl Interessen dienstbar zu machen, die wir weder kennen, geschweige denn in größeren Wirkzusammenhängen verstehen. Die Architekten der Systematik und Initiatoren dieser Vorgänge triggern unsere Kreativität und stimulieren unser Bedürfnis, uns in gemeinschaftliches Wirken einzubringen, denn ihre Aktivitäten leben von diesen unseren Energien (Ich erinnere an das Meme der Tiefbaustelle, in der ein Handwerker arbeitet während mehrere Manager drum herum stehen und diesen Arbeitsprozess ‚organisieren‘).
Fazit
Die Arbeitsverwaltung ist wesentliches Bauteil eines weit verzweigten Herrschaftssystems nicht nur zur Befriedigung und Kontrolle existentieller Bedürfnisse von Millionen Menschen, sondern sie bedient gleichsam ihre zahlreiche Mitarbeiterschaft mit reizvollen Angeboten zur Mitwirkung beim Funktionieren und Manifestieren all der Glaubenssätze, die unseren täglichen Bemühungen Sinn und Anstand verleihen. Der kollektive Charakter dieser Systematik kann zwar nie der wahren, weil individuellen Natur des geistig beseelten Wesen Mensch gerecht werden, muss aber stets den Anschein wahren, Vielfalt und Kreativität seien erwünscht, weil es sich um die Systematik nährende Energien handelt, die ihr ihre Existenz verdanken.
Ihre Protagonisten handeln dabei nicht aus Boshaftigkeit, sondern vielmehr aus selbst gewählter oder fremdbestimmter Begrenzung ihrer Möglichkeiten und Fokussierung auf persönliche Bereicherung in den eingangs erwähnten Bereichen. Die Ausweitung von Einflussnahme und Kontrolle über die Prozesse ist nur um den Preis immer weitergehender Beschneidung von Spielräumen menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns möglich. Wir haben das gerade zur Genüge in den vergangenen 2 Jahren erfahren dürfen. Unsere Ein- und Unterordnung unter die Systematik verheißt funktionierende Geschäftsprozesse, reibungslose Abläufe und Anerkennung durch die Mehrheit, freilich um den Preis des Leidens derer, die nie aufgehört haben, ihre innere Stimme zu vernehmen und weiter nach Antworten suchen.
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