Wir sind schon lange an einem Punkt angekommen, wo sich Verfahren und Abläufe im Jobcenter eingespielt haben.
Die Verwaltung der Menschen, die Grundsicherung erhalten ist in ein Stadium eingemündet, in dem fast alle Bewegungsspielräume definiert sind.
Hier und da stellen wir uns der Herausforderung, für einen Klienten etwas möglich zu machen, was noch nicht zur Routine geworden ist.
Wir recherchieren, sprechen uns mit Kollegen aus vor- und nachgelagerten Stellen ab.
Manchmal gilt es mit den Kollegen zu verhandeln, mit Engelszungen, mit guten Argumenten, mit Geduld.
In der Hauptsache aber finden Veränderungen in einem sehr überschaubaren Rahmen statt.
Was ja nicht schlecht sein muss. Es beruhigt, dass auch etwas kniffligere Situationen nicht zu Schweißausbrüchen führen.
Und man findet Selbst-Vertrauen, wenn einen auch seltsame Kunden- und Kollegen Kontakte nicht (mehr) so leicht ins Bockshorn jagen.
Das entspannt den beruflichen Alltag und das Privatleben sowieso.
Konflikthafte oder anders belastende Erfahrungen müssen uns nicht in den Schlaf verfolgen.
Der Job verfügt ohnehin schon über die Hälfte unseres wachen Tages.
Er muss nicht das Zentrum intellektuellen und emotionalen Erlebens sein.
Gleichwohl können wir ihn mit wachem Bewusstsein und Aufmerksamkeit angehen.
Niemand hindert uns, den Seelen unserer Kundschaft mit Interesse und Neugier zu begegnen.
Unsere begrenzten Einsichten in die Schicksale der Menschen, mit denen wir arbeiten, haben uns zu wohlwollenden Gesprächspartnern gemacht.
Darüber hinaus können wir aus dieser Haltung heraus eine gewisse Zufriedenheit erzielen.
Wir erfreuen uns an kleinen Rückmeldungen dankbarer Seelen, die uns Wertschätzung signalisieren.
Und wir bemerken, wenn uns (vorgesetzte) Kollegen entgegen kommen und sich bemühen uns so zu bedienen wie wir es mit unserer Kundschaft tun.
Wer die Anliegen der Menschen im Leistungsbezug mit Misstrauen, Argwohn bis hin zur Herablassung betrachtet, der wird nicht viel Freude an seinem Job haben.
Vielmehr wird er ihn als eine schwere Last empfinden, genervt sein und im schlimmsten Falle seine Unlust schamlos zum Ausdruck bringen.
Grundsicherung steht schon lange nicht mehr im Fokus des politischen und folglich des medialen Interesses.
Unser Bewusstsein wird vielmehr bereits seit Jahren mit den Themen Migration und neuerdings dem menschengemachten Klimawandel programmiert.
Das Thema Grundsicherung wird in den Medien nur noch auf kleiner Flamme gekocht.
Undzwar in Gestalt eines möglicherweise bedingungslosen Grundeinkommens.
Dem stetigen aber nachhaltigen Wandel meiner einstigen Begeisterung für das BGE werde ich spätestens dann einen eigenen Beitrag widmen.
Derweil können wir uns überlegen, was im Umgang mit unserer Kundschaft sinnhaftes zu tun bleibt.
Sei es ihre Aufmerksamkeit mit Hinweisen auf bestimmte Zusammenhänge zu lenken oder ihnen Zuversicht zu schenken.
Manches Mal bedarf bedarf es nur des offenen Ohres für Kritik, Bedenken und den aufflammenden Ärger.
Viele dieser Seelen sind auf einem Weg, der mein Dazutun kaum oder nur wenig erfordert.
Dann bin ich allenfalls ein Berater, der Informationen weitergibt.
Abgesehen von den zwanghaften Bedingungen finden diese Begegnungen in einem klassischen Dienstleistungsverhältnis statt.
Das ist Arbeits- oder Beschäftigungs-Vermittlung (Welch ein passender Begriff in Zeiten, in denen es gilt, Menschen zu beschäftigen, denn so ist ihre Aufmerksamkeit gebunden).
Ich habe eine ähnliche Funktion wie der Verkäufer im Fachhandel.
Im neoliberalen Sprech unserer Behörde bewerbe ich mein Angebot, verkaufe gar Produkte und sorge für eine verbindliche Annahme.
Der freilassende Charakter meines Angebots ist dabei eine Strategie, das Produkt an den Mann zu bringen.
Denn mein Job ist, ihre Aufmerksamkeit auf den Zweck unseres Zusammenkommens zu richten.
Die Eingliederung ins berufliche Leben (auch ein vielsagender Begriff … rein ins Glied).
Und wer sich mit seinen Tages- und Verhaltensabläufen in das Schicksal der Grundsicherung ergeben hat, den lasse ich in Ruhe.
Er hält sich an die wenigen Regeln des Spiels und hat nur gelegentliche Verkaufsaktivitäten von mir zu erwarten.
Doch jede Begegnung birgt die Möglichkeit des Hinweises darauf, dass die Dinge nicht zwangsläufig so sind wie sie scheinen.
Jeder kann in den Geschehnissen seines Alltags Erfahrungen machen und auf Informationen stoßen, die nachdenklich machen und das Hinterfragen anregen.
Andere folgen einfach der Natur ihres Soseins und haben ein ganz natürliches Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung.
Und dann gibt es auch noch die vielen Menschen, die eine psychiatrische Diagnose erhalten und in der Folge sehr verunsichert sind.
Die darauf folgenden ärztlichen Interventionen dienen dem Zweck, sie ruhig zu stellen.
Und in einem nächsten Schritt sollen ihre Kräfte möglichst wieder verwertbar gemacht werden für das funktionierende Herrschaftssystem.
Ist das nicht zu erreichen, dann profitiert die Volkswirtschaft eben durch Sozialausgaben in Form von Grundsicherung und Pharmazie.
Diese Menschen stehen eigentlich an der Schwelle zum Aufwachen des sich entwickelnden Bewusstseins, werden aber durch die folgenden Interventionen wieder eingefangen.
Meine besondere Aufmerksamkeit galt schon immer diesen schwierigen, suchenden und wenig angepassten Seelen.
Oft sind sie mit sich selbst, ihren Lebensumständen und der Welt nicht im Reinen und haben nur bis zu einem gewissen Grade den vorgegebenen Wegen folgen können.
Während meiner vieljährigen Tätigkeit in der Psychiatrie sind mir viele Seelen begegnet, die im Prozess wesentlicher Veränderungen standen.
Und auch im Jobcenter habe ich mich von Beginn an von solchen Begegnungen besonders angesprochen gefühlt und den in diesen Schicksalen verborgenen Fragen nachgespürt.
Sie gehen immer über das hinaus, was meinen Arbeitsauftrag beschreibt und auf einer tieferen Ebene doch zwangsläufig dazu gehört.
Sie haben zu tun mit den Besonderheiten dieser Seelen, dem was ihre Einzigartigkeit ausmacht.
Seien es gesundheitliche Rahmenbedingungen, Verhaltensauffälligkeiten, extreme Biografien oder auch sehr spezielle Neigungen, Bedürfnisse und Haltungen sowie außergewöhnliche Erfahrungen.
Oft werde ich eingeweiht in diese Umstände und die Menschen erzählen mir von ihrem Erleben und lassen mich teilhaben an Geschichten, die ich niemals selbst erlebt hätte.
Weil sie aus einer von meiner völlig verschiedenen Lebenswirklichkeit stammen.
Wenn sie mit gewissen Einsichten gesegnet sind, dann sprechen aus ihnen oft tiefe Wahrheiten.
Diese auszusprechen und mich daran teilhaben zu lassen ist ihr Geschenk an mich.
Denn ich erweitere auf diese Weise mein Wissen über das Leben und das Wesentliche, was es ausmacht.
Viele von ihnen mussten sich der Herausforderung stellen und sich auf die Reise in ihr Inneres begeben.
Sie sind ein Beispiel dafür, welch ein Kampf es sein und wie es gelingen kann, sich von den Dämonen nicht abschrecken zu lassen, die ihnen auf dieser Reise begegnen und ihre hässliche Fratze zeigen.
Wie oft ist mir dabei auch ein feiner und gütiger Humor begegnet, eines mit vielen Wassern gewaschenen Bewusstseins eines Zeitgenossen, der dabei einige Widerstandskraft erworben hat.
Es handelt sich um Seelen, die eine Ahnung davon haben, wie weit sie die Erfahrung in lichte Höhen befördern kann.
Und wie tief sie den Menschen in die Dunkelheit zu reißen vermag, wenn er noch nicht bereit genug ist, die Erfahrungen zu integrieren, statt sich von ihnen mal hierhin und mal dorthin schleudern zu lassen.
Mittlerweile kann ich diese Neigung, mich fremden Lebenswelten zu öffnen immerhin bis in meine Kindheit nachvollziehen.
Erfahrungen, die mich immer wieder an meine Grenzen gebracht, mich aber auch bereichert haben.
Das hat mich im Laufe der Jahre weiter gemacht und lässt mich so manches Lebensschicksal meines Gegenüber annehmen, ohne dass mein Mitgefühl zur Belastung wird.
Mit meiner Aufmerksamkeit werde ich zum Resonanzkörper für die geschilderten Erfahrungen.
Ziel meiner Gesprächsführung ist immer, jemanden zur Mitteilsamkeit zu bewegen.
Ich mache unausgesprochen das Angebot, mir eine Geschichte zu erzählen, die dann der Ausgangspunkt für die Beschaffenheit unserer Beziehung ist.
Das mag in vielen Begegnungen in ein lockeres und heiteres Miteinander führen.
Die Beziehung wird unbelastet und von Wohlwollen geprägt. Wir machen uns nichts vor.
Wir gestalten unsere Begegnung menschlich. Es braucht keine Klärungen, weil man sich in Wesentlichem einig ist.
Aber es gibt nicht wenige Menschen, die sich von vornherein offenbaren und unmittelbar in die ihnen zugedachte Opferrolle begeben.
Nämlich eine von Ängstlichkeit und mangelndem Selbstwert beherrschte seelische Verfassung.
Einem Zustand, in dem sie sich dem Amtmann ausgeliefert fühlen, bedacht darauf sind, nichts falsches zu sagen und es sich nicht mit ihm verscherzen wollen.
Wie macht man denen Mut, wie vermittelt man ihnen Zuversicht, ohne in Allgemeinplätze abzuschweifen? Wie lassen sich ihre Selbstheilungskräfte anregen?
Unsere Maßnahmen und Förderangebote sind kollektiver Natur und bieten folglich nur einen begrenzten Rahmen der Entwicklungsmöglichkeiten.
Diese stehen und fallen mit der Ein- und Umsicht derer, die dort für einen bestimmten Zeitraum Anleiter und Begleiter sind.
Darum ist ihnen eine Teilnahme unter allen Umständen freigestellt. Allenfalls ermutige ich sie zu einer positiven Haltung.
Man weiß nie, welche Möglichkeiten der Erfahrung sich bieten oder welche Begegnungen sich einem wachen Geist eröffnen.
Welcher Natur diese Erfahrungen dann auch sein mögen, sie bieten uns Gesprächsstoff für eine gemeinsame Reflexion in möglichst angst- und wertfreiem Raum.
Dazu braucht es oftmals viel (Beziehungs)-Arbeit und eines langen Atems.
Viele von uns haben mittlerweile eine Ahnung von den Ver-Wicklungen, in denen sich die meisten Seelen immer wieder neu orientieren und ausrichten müssen.
Sie wissen, wie vieler Erkundungen es braucht, Ent-Wicklung voran zu bringen und geben jegliche Leichtfertigkeit und Ungeduld im Umgang mit unserer Kundschaft auf.
Und sie ahnen, dass der Job viel mehr sein kann als Arbeitsverwaltung.
Fazit
Ich für meinen Teil bin nun in der Lage, meine Tätigkeit näher definieren zu können.
Es steht für mich außer Zweifel, dass ich einen seelsorgerischen Ansatz habe, mit dem ich dem Menschen im Jobcenter begegne.
Ohne ein gewisses Maß an heiler Seele scheint mir ein Fortkommen ausgeschlossen.
Weder für ihn noch für mich.
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