Im Gespräch mit unseren Kunden, Kollegen und Vorgesetzten und sogar im Privaten benutzen wir Begriffe, die wir aus der Politik und dem Gesetzestext übernommen haben.
Halten wir einen Moment inne, nehmen Abstand vom gewöhnlichen Gebrauch und erkunden ihren Ursprung:
- Worauf gehen ihre Bedeutungen zurück?
- In welchen Ursachen- und Wirkungszusammenhängen werden sie gebraucht?
- Welche suggestiven Wirkungen entfalten sie?
Fachbegriffe aus dem Jobcenter, wie Eingliederungsvereinbarung, stehen immer in einem Zusammenhang, der uns eine eine ganz bestimmte Wirklichkeit zu vermitteln sucht.
Sie dienen Haltungen und Hintergründen, über die wir uns selten Rechenschaft ablegen.
Als Verwaltungsmitarbeiter neigen wir ohnehin zur Folgsamkeit gegenüber Vorgesetzten, Handlungsleitfäden und Geschäftsanweisungen.
Wir folgen den Imperativen und beschränken uns auf die Spielräume, die uns zugestanden werden.
Dazu gehört die Verinnerlichung und Adaption dieses Vokabulars durch täglichen Gebrauch.
Wir kennen die Wirkungen aus dem Konsum von Informationen aus den Medien.
Begrifflichkeiten und Bedeutungszusammenhänge werden uns immer und immer wieder kommuniziert.
Sie werden von Zeitungsredaktionen, Kommentatoren, Nachrichtensendungen, Buchautoren, in Diskussionen und sozialen Netzwerken verwendet.
Dabei transportieren sie zugrunde liegende Überzeugungen und Haltungen.
Werden diese Narrative oft genug wiederholt und sind in sämtlichen Medien unseres Alltags präsent, dann werden sie früher oder später zu unserer Realität.
Wir beginnen, selbst in diesen Begriffen und Zusammenhängen zu denken und uns mitzuteilen.
In einem gesellschaftlich, historisch, psychologischen Kontext gibt der Vortrag „Demokratie und Meinungsmanipulation” von Prof. Mausfeld einen erhellenden Einblick in diese Mechanismen.
Einen guten Einstieg in das Thema vermittelt auch auch der Beitrag von Dr. Tim O’ Shea zur Manipulation durch Medien in der Gesundheitsbranche.
Insbesondere diejenigen Informationen, die uns über die sogenannten Qualitätsmedien vermittelt werden, versorgen uns mit etablierten und nicht mehr zu hinterfragenden Bedeutungszusammenhängen.
Sie versetzen uns in die Lage der „objektiven” Meinungsbildung.
Die dominierende Gleichartigkeit der Informationen über alle Qualitätsmedien hinweg lässt uns schon bald nicht mehr daran zweifeln, dass es sich hier um wahrhaftige Aufklärung handelt.
Wir können Fakten kaum noch von Meinungen unterscheiden und abweichende Informationen werden zunehmend sanktioniert.
Doch dazu mehr in folgenden Beiträgen der „Sprachwirrung im Jobcenter”.
Mit dieser Beitragsreihe möchte ich einigen Begrifflichkeiten und Bedeutungszusammenhängen unseres Arbeitsalltags auf die Spur kommen.
Ich möchte prüfen, was diese uns möglicherweise suggerieren wollen.
Und ob das, was sie bedeuten sollen denn tatsächlich unserem Selbstverständnis als Mitarbeiter dieser Behörde dienlich ist.
Das Jobcenter verfolgt als Institution der öffentlichen Arbeitsverwaltung das Ziel, politische Vorgaben umzusetzen.
Dafür erhalten wir unter anderem eine Terminologie, die in unserem Arbeitsalltag als selbstverständlich gilt.
Diese Terminologie hat auch Einzug in den privaten Alltag gehalten.
Sie ist das gewollte Ergebnis von Reformen der Sozialgebung.
Ich werde nach und nach einige dieser Begriffe in den Fokus nehmen:
Arbeitsmarkt, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Integrationsplanung, Förderkette, Langzeitbezieher und andere.
Den Anfang macht die EingliederungsVereinbarung.
Ein Neuantragsteller auf Leistungen der Grundsicherung nach SGB II ist gehalten, noch am Tage der Antragstellung einen etwa 3 Seiten umfassenden öffentlich-rechtlichen Vertrag zu unterschreiben.
Das Wort Vertrag wird in größerem Maße mit Verbindlichkeiten assoziiert, als es das Wort Vereinbarung nahelegt.
Bei Vereinbarungen zählt das Wort, Handschlag drauf. Wer sich vereinbart weiß, worum es geht und ist sich einig.
Die Partner einer Vereinbarung begegnen sich auf Augenhöhe und jeder hat Interessen, die nicht zu kurz kommen dürfen.
Die Meisten hätten sogar ein schlechtes Gewissen, wenn sie den anderen wissentlich übervorteilten.
Eine Vereinbarung ist geprägt von einem anständigen Umgang miteinander.
Wikipedia nennt das eine bindende Verabredung, die freiwillig zustande kommt.
Halten wir fest: Die EingliederungsVereinbarung ist ein Vertrag und hat Rechtsverbindlichkeit.
Sie dient als Grundlage für die Durchsetzung von Forderungen, die wir im Namen des Sozialgesetzes an unsere Kunden richten.
Oft in zweifelhaftem Einverständnis unseres Vertragspartners.
Gleichwohl unterschreiben unsere Kunden diese Vereinbarung.
Undzwar in der stillschweigenden Hoffnung, dass sie als anständige Menschen keine Repressalien zu erwarten haben.
Selbst diejenigen Kunden, die bereits ein Dutzend Vereinbarungen unterschrieben haben, tun es immer wieder.
Sie haben verinnerlicht, dass es an ihnen liegt, auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht zu werden.
Und wir als Mitarbeiter haben das gleichermaßen verinnerlicht.
Wenn wir merken, dass sie darunter leiden, dann bemühen wir uns um alternative Aufgaben für sie.
Und schließen mit ihnen eine Eingliederungsvereinbarung nach der anderen ab.
Ohne dass wir mit diesen Kunden tatsächlich das Ziel einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt verfolgen.
In der Behindertenrechtskonvention wurde der Begriff Integration durch Inklusion ersetzt.
Unser neues Verständnis von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben betont die Einbeziehung von allen Menschen in die Gesellschaft.
Inklusion soll zum Ausdruck bringen, dass behinderte Menschen von vornherein dazu gehören.
Daher gilt es, Barrieren zu entfernen, die eine Teilhabe behindern.
Menschen ohne Behinderung haben nur dann an der Gesellschaft teil, wenn sie den Bedingungen des Arbeitsmarktes gerecht werden.
Die Eingliederungsvereinbarung ist Ausdruck dieser Gesinnung.
Und genau darunter leiden Millionen von Menschen:
Sie haben das Gefühl, nicht dazuzugehören und unser Sprachgebrauch festigt diese Selbstwahrnehmung.
Viele Begriffe und Bedeutungszusammenhänge fördern diese Ausgrenzung genauso, wie es der Begriff Eingliederungsvereinbarung tut.
Er ist zu einer Selbstverständlichkeit in der Kommunikation geworden und wirkt im Verborgenen.
Die beherrschende Allgegenwart eines neoliberalen Gesinnungssystems duldet Menschen ohne Eingliederungsperspektive nur als Konsumenten.
Wir dürfen uns das immer wieder bewusst machen.
Und in Gesprächen mit Kollegen, Freunden und Kunden unsere Wahrnehmung wach halten.
Uns immer wieder aufs Neue dafür sensibilisieren, um nicht abzustumpfen und zum Instrument des herrschenden Sprachgebrauchs zu werden.
Der Vertrag mit dem Jobcenter kommt als Vereinbarung daher und das beinhaltet ein gewisses Maß an Gestaltbarkeit.
Wir sollten das tatsächlich als Spielraum verstehen, der uns zur verfügung steht.
Auch wenn die schärfsten Rächer der Versichertengemeinschaft uns glauben machen wollen, wir müssten die Gürtel unserer Kunden enger schnallen.
Sie mit einer „rechtssicheren” Eingliederungsvereinbarung bedrängen. Im Dienst des Sozialgesetzbuchs.
Aber es ist bemerkenswert, dass die meisten Kollegen in den Jobcentern gar nicht mit Sanktionen arbeiten.
Denn sie wissen, dass dies nicht zu wesentlichen Verhaltensänderungen führt.
Fazit
Die Eingliederungsvereinbarung ist ein Beispiel für die Bigotterie von Aspekten unserer Sozialgesetzgebung.
Sie gibt vor, unter Gleichberechtigten auf Augenhöhe abgeschlossen worden zu sein.
Tatsächlich wird die Eingliederungsvereinbarung aber aus einer asymmetrieschen Beratungssituation heraus geschlossen.
Sie wird vielmehr als Bedingung dafür begriffen, überhaupt den Genuss von Grundsicherungsleistungen zu gewähren.
Sie ist ein Instrument, das Macht und Autorität über den Antragsteller gewährleisten soll.
Für uns gibt es immer gute Gründe dafür, eine Vereinbarung im Sinne der antragstellenden Menschen zu interpretieren.
Denn wir sind Mitarbeiter einer Sozialbehörde.
Das ist Teil des Beurteilungsraumes, den uns das Gesetz bietet und den zu füllen es von uns fordert.
In diesem Rahmen gibt es Möglichkeiten, eine mitmenschliche Haltung zu entwickeln und nach ihr zu handeln.
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