Weil ich sie als Kunden behandle …
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass viele Menschen in der Arbeitsverwaltung Erfahrungen machen, die der Kundenorientiertheit widersprechen.
Deshalb braucht es eine faire Bestandsaufnahme über die Bedeutung von Begrifflichkeiten.
Und welchem Zweck die Begriffe dienen.
Dabei spielt es eine große Rolle, wer den Begriff gebraucht.
Und in welcher Verfassung sich sein Anwender befindet.
Der Begriff des Kunden ist zunächst weder rechtlich noch inhaltlich hinreichend bestimmt.
In der Arbeitsverwaltung wird seit der Modernisierung des Verwaltungswesens vom Kunden gesprochen.
Ihre Vertreter wollen damit den Ansprüchen an eine moderne Dienstleistungsbehörde gerecht werden.
Zurecht fühlen sich viele Menschen aber lediglich als Kunde tituliert.
Unzählige Grundsicherungsempfänger fühlen sich nicht als Kunde behandelt.
Insbesondere wenn es zu Differenzen mit ihren Ansprechpartnern kommt, sehen sich diese Menschen mit mangelhafter Serviceorientierung und Dienstleistungsqualität konfrontiert.
Mancherlei Merkmale lassen den Widerspruch offenkundig werden.
Eine einfache google-Recherche führt folgende Widersprüche zu Tage. Ein Kunde
- wird eingeladen ⇔ Jobcenter-Kunden werden unter Sanktionsandrohung vorgeladen
- wird umworben ⇔im JobCenter wird ein Mensch aus wirtschaftlicher Not zum Kunden
- soll durch die Dienstleistungserbringung ans Unternehmen gebunden werden ⇔ ein Jobcenter-Kunde soll so bald wie möglich den Bezug beenden
- kann einen Dienstleistungsvertrag frei aushandeln ⇔ bei einem Jobcenter-Kunden kann der Inhalt des Vertrages bei Weigerung der Vertragsunterzeichnung einseitig als Verwaltungsakt erlassen werden
- kommt gern wieder und bestätigt, dass er sich gut behandelt fühlt ⇔ ein Jobcenter-Kunde kommt, weil er muss und nicht, weil er es will
Den leistungsberechtigten Bürger als Kunden zu bezeichnen kommt manch einem Grundsicherungsempfänger einer Beleidigung gleich.
Sicherlich ist Dir aufgefallen, dass ich bereits einige der gängigen Bezeichnungen für unser Gegenüber verwendet habe, die in gleichem Sinne benutzt werden.
Sehen wir uns die in der Praxis häufigsten Begriffe an:
- Ratsuchender
- Hilfebedürftiger
- Bürger
- Leistungsempfänger
- Grundsicherungsempfänger
- Klient
- Kunde
Die Ausgangssituation unserer Begegnung nennt man von ihrer Anlage her asymmetrisch.
Das ist aber ein eher akademischer Begriff für die ungleichen Voraussetzungen, die mein Gegenüber und mich zusammenführen.
Diese ungleiche Voraussetzung darf unsere Zusammenarbeit nicht beherrschen.
Daher muss ich meinen Gesprächspartner auf Augenhöhe heben.
Ich werde ihm vollständigen Respekt entgegen bringen, um dieses Ziel zu erreichen.
Aber was nutzt mir mein Anspruch, wenn ich die Haltung meines Gegenüber nicht erkenne?
Wegen der asymmetrischen, der un-gleichen Ausgangslage beider Gesprächspartner fühlt mein Gegenüber sich mitunter als Bittsteller.
Darauf habe ich zunächst keinen Einfluss.
Ich kann diese Haltung nur begreifen und sie annehmen.
Und ich werde unbedingt davon absehen, sie zu bewerten.
Oder mit ihm die Schuld daran zu diskutieren, dass Andere oder die Umstände ihn zum Bittsteller werden lassen.
Sei immer bemüht zu zeigen, dass die Haltung Deines Gesprächspartners erlaubt ist.
Rede sie ihm nicht aus. Das kannst Du nicht.
Respektiere vielmehr seine Haltung.
Ob er Dir als Bittsteller aggressiv, oder ob er Dir mit Scham begegnet, spielt dabei keine Rolle.
Vielleicht musst Du sogar die Herablassung und Geringschätzung des Bittstellers erfahren.
Du tust dann gut daran, Dich nicht persönlich angegriffen zu fühlen.
Die Gründe für sein Verhalten sind in den Erfahrungen seiner persönlichen Vergangenheit zu vermuten.
Vielleicht fördert auch das System, das Du repräsentierst seine Haltung.
Es liegt aber an Dir, diesen Schuh auch anzuziehen oder die Verantwortung dafür bei ihm zu lassen.
Du hast keine Alternative, wenn Du diesen Job weiter machen willst.
Sehr wohl kannst Du solchem Verhalten aber mit Verständnis begegnen.
Du kannst darauf hinarbeiten, dass hier und in dieser Gesprächssituation auch andere Erfahrungen möglich sind.
Ich möchte auch die Ratsuchende da abholen, wo sie gerade steht.
Sie muss nicht verzweifelt sein, um mir als Ratsuchende zu begegnen.
Sie hat aber bestimmt Fragen.
Vielleicht ist sie aktuell in einer schwierigen Lebenssituation.
Ich bin kein Therapeut, aber gleichwohl kann ich zuhören und mir ein Bild von der Lage machen, in der sie eines Rates bedarf.
Und wenn ich tatsächlich in der glücklichen Lage bin, Rat geben zu können, dann tue ich das entschlossen und mit Überzeugung.
Habe ich keinen Rat, dann gestatte ich mir, das auch zuzugeben und meine Grenzen offenkundig zu machen.
Auch ohne Pathos empfinde ich es als ein Geschenk, dass sich ein Mensch an mich wendet und Rat bei mir sucht.
Auch auf den Hilfebedürftigen treffe ich in meiner Arbeit häufig.
Er hat einen gesetzlichen Betreuer, benötigt vielleicht auch Unterstützung in seinem Lebensalltag.
Für ihn sind mitunter Verhaltensweisen schwer, die uns selbstverständlich erscheinen.
Ein knapp 30-jähriger Mann war in meiner Beratung.
Die Mitarbeiterin eines ambulanten Betreuungsdienstes begleitete ihn.
Seine Unternehmungen, ein berufliches Leben zu gestalten, sind bislang an „Grundkompetenzen” gescheitert.
Das sind Fähigkeiten, die wir in der Regel als gewöhnlich voraussetzen.
Er war im Heim aufgewachsen und morgens immer dadurch aufgeweckt worden, dass der Pädagoge die Tür zum Schlafraum geöffnet hat.
Bis heute ist es für ihn kaum möglich, durch die Geräusche eines Weckers aufzuwachen.
Und daher gelingt es natürlich nur selten, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen.
Ja, dieser Mann ist hilfebedürftig und er weiß das auch.
Er tritt mir als solcher gegenüber.
Solange ich ihm nicht das Gefühl gebe, dass er deshalb minder ist, wird er vielleicht unsere Begegnung auf Augenhöhe annehmen können.
Viel zu häufig ist aber seine Empfindung abhängig von der Haltung, die man ihm entgegen bringt.
Es macht schlichtweg keinen Sinn, mehr Eigenverantwortlichkeit von ihm einzufordern, als er aktuell aufzubringen vermag.
Ich habe gelesen, dass mancher Gesprächspartner sich gern als Bürger wahrgenommen wissen möchte.
Der Bürger begegnet der Behörde nach meiner Einschätzung mit gebildeter Distanz.
Er braucht die Behörde, sofern er seinen Bürgerpflichten nachkommt und seine Bürgerrechte wahrnimmt.
Sicherlich ist seine Grundsicherung ein Bürgerrecht.
Wenn ich für diese Haltung stehe, dann wird der Bürger verstehen, dass ich sein gutes Recht verwirkliche.
Allerdings beschreibt dieser Begriff seine Beziehung zu mir und der Behörde doch in einem nur sehr oberflächlichen Sinn.
Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung und Entwicklung zu tragen ist eben auch einiges mehr als eine Bürgerpflicht.
Ich erlebe mich dann als Gesprächspartner wirklich nicht in der Rolle eines Verwaltungsmitarbeiters.
Ganz bestimmt werde ich daher das Selbstverständnis des Bürgers bald hinterfragen.
Wir sprechen häufig auch von Leistungs- oder Grundsicherungsempfängern.
Im Grunde werden diese Begriffe gleichbedeutend benutzt.
Der Grundsicherungsempfänger macht von seinem Grundrecht der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben Gebrauch.
Wenn Du Dir diese Haltung zu eigen gemacht hast, dann kann die Beziehung zu Deinen Leistungsempfängern gedeihen.
Gib Ihnen Gewissheit, dass ihre ökonomische Abhängigkeit für Dich keinen Einfluss nimmt auf die Beratungssituation.
Die Bezeichnung Leistungsempfänger hat für mich eine rein verwaltungstechnische Bedeutung.
Der Beziehungs Charakter der Begegnung fehlt vollständig.
Daher finde ich diese Bezeichnung wenig förderlich und nutze sie nicht.
Kunden unserer Arbeitsverwaltung möchten nur selten als Klient bezeichnet werden.
Dabei handelt es sich doch um eine spezifische Bezeichnung für Leistungsempfänger von Beratungsberufen.
Tatsächlich habe ich schon oft mit mir gerungen, den Begriff des Kunden durch Klient zu ersetzen.
Klient ist abgeleitet von lateinisch cliens, „Anhänger, Schützling, Höriger“.
Der Begriff scheint mir eine gelungene Alternative für den mehr verkaufsorientierten Kunden-Begriff zu sein.
Aber er hat einen entscheidenden Nachteil.
Unsere Gesprächspartner können mit dieser Bezeichnung nichts anfangen.
Die allermeisten Menschen sind zu wenig vertraut mit dem Begriff des Klienten.
Sie haben keine so konkrete Vorstellung davon, wie sie als Klient behandelt werden möchten.
Und wie sie als Klient erwarten dürfen, behandelt zu werden.
Ganz anders ist es mit dem Begriff des Kunden.
Es gibt einen Konsens darüber über alle Bevölkerungsgruppen hinweg.
Denn wir sind alle gleichermaßen Konsumenten.
Man hat uns lange genug erklärt, dass uns als Kunden eine große Bedeutung im Alltag zukommt.
Sich als Kunden wahrzunehmen, ist heutzutage keine Frage der Bildung, Haltung oder Sprache.
Vielmehr wird der Kunden-Begriff von allen Menschen in sehr ähnlicher Weise aufgefasst.
Wenn unser Gegenüber uns als Kunde begegnet, dann weiß er, was er von uns erwarten darf.
Vielleicht sind unsere Gesprächspartner nicht gleich zu Beginn unsere Kunden.
Wir müssen ihnen Zeit lassen, sich als Kunden zu erfahren.
Aber wir können unseren Teil als kundenorientierte Dienstleister dazu beitragen.
Wir können mit unseren Kunden den Dienstleistungscharakter unserer Begegnung herausarbeiten.
Dann haben wir gute Voraussetzungen, mit unserem Gegenüber eine Kunden-Beziehung zu etablieren.
Unser Ziel muss sein, unseren Gesprächspartner zum Kunden werden zu lassen.
Ich bin überzeugt davon, dass dieses Angebot dazu beitragen kann, dass sich unseren Kunden eine Perspektive eröffnet.
Ich glaube daran und halte sie für mündig, mein Angebot zu prüfen.
Unseren Kunden kommt die Verantwortung zu, über kurz oder lang zu unserem Angebot eine Haltung einzunehmen.
Und schließlich in eigener Regie eine Entscheidung zu treffen.
Nie werde ich ein solches Angebot mit der Androhung von Sanktionen verbinden.
Auch dann nicht, wenn er mein Angebot nicht annehmen möchte.
Wie sollte ich auch? Er ist doch mein Kunde geworden.
Wir müssen in Rechnung stellen, dass jeder von uns auf ein Einkommen angewiesen ist.
Grundsicherungsempfänger erhalten das Einkommen als Leistungen zum Lebensunterhalt.
Und wir dürfen nie vergessen, dass diese Menschen uns nicht in ökonomischer Unabhängigkeit begegnen.
Wir werden vielmehr als diejenigen wahrgenommen, die ggf. darüber entscheiden, ob sie ihre Grundsicherung erhalten oder nicht.
Das sollte uns immer Anlass für eine gewisse Bescheidenheit im Umgang sein.
Ich nehme gleichermaßen für mich in Anspruch, meiner Gesprächspartnerin in verschiedenen Funktionen zu begegnen.
Ich bin Berater, Verkäufer, Coach.
In meiner Funktion als Berater setze ich einen bestimmten Grad an Freiwilligkeit im Einlassen auf meine Beratung voraus.
Gleichermaßen besteht ein bestimmter Grad an Freiheit in der Annahme meines Rates.
Meine Beziehungsgestaltung kann heilenden Charakter haben, auch wenn ich mich nicht als Therapeut verstehe.
Es gehört zu meinem Handwerkszeug, die Beziehung so zu gestalten, dass eine vertrauensvolle Begegnung möglich wird.
Ich spiele aber auch die Rolle des Verkäufers.
Jeder weiß, dass in der Arbeitsverwaltung gewisse “Umsätze” erzielt werden müssen.
Unsere Kunden sollen bewegt werden, an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilzunehmen.
Es gibt keinen Grund, das zu leugnen.
Wie in der sogenannten freien Wirtschaft werden auch in der Verwaltung finanzielle Mittel bereitgestellt und geplant.
Die Geschäftsführungen streben danach, Planung und Realität möglichst in Übereinstimmung zu bringen.
Ich bin Mitarbeiter in dieser Verwaltung und man erwartet von mir, dass ich geplante Mittel auch verwende.
In diesem Sinne versuche ich, unsere Produkte an meine Kunden zu verkaufen.
Und ich werde mich bemühen, ein guter Verkäufer zu sein.
Es geht nicht darum, den Menschen Dinge zu verkaufen, die sie nicht benötigen.
Da wir eine Sozialbehörde sind, haben wir das glücklicherweise nicht nötig.
Außerdem haben unsere „Produkte” mittlerweile eine zu gute Qualität erreicht, als dass ich mich dafür schämen müsste.
Aber es ist Teil meines Jobs, die sogenannten arbeitsmarktpolitischen Instrumente an den Mann und an die Frau zu bringen.
Nächste Woche werde ich erklären, warum ich das sogar gerne tue.
Fazit
Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, dann gelingt es uns immer häufiger, auch ehrlich zu den Menschen zu sein, die uns begegnen.
Wir sind gleichermaßen Ratsuchende, Kunden, Berater, Leistungsempfänger, Verkäufer, Hilfebedürftige, etc.
Es kann ein wenig oder auch mehr Zeit brauchen, die Kunden-Beziehung zu etablieren.
Aber es lohnt sich.
Denn unsere Kunden wissen das zu schätzen, wenn wir ihnen als Begleiter begegnen.
Und wenn wir das richtig einzuschätzen wissen, was wir ihnen zumuten dürfen.
Wie weit wir sie in die Verantwortung nehmen können.
Mit meinem Kunden-Begriff möchte ich meine Gesprächspartner unabhängig machen.
Unabhängig von jeglichen Bezeichnungen, die Politik, die Medien und die Arbeitsverwaltung vornehmen.
Auf meine Kunden lasse ich nichts kommen.
Wie geht es Dir mit dem Kunden-Begriff? Und wie löst Du die Widersprüche, die sich daraus ergeben?
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