Wikipedia beschreibt Resilienz in seiner aufbauenden Eigenschaft als “Fähigkeit eines Einzelnen, sich zu erholen oder auf Herausforderungen und Veränderung zu reagieren” und in seiner begrenzenden und abbauenden Eigenschaft als „Aufforderung, die eigene Sensibilität zu verlernen und sich gegen die Zumutungen unzumutbarer Lebensbedingungen zu immunisieren“. Für gewöhnlich im Umfeld der sogenannten Gesundheitsberufe, aber gerade in den vergangenen 2 Jahren in allen Bereichen der Lebenswirklichkeit wird dieses Konzept im Rahmen der Entwicklung von Anpassungsfähigkeit des Einzelnen thematisiert und dürfte damit in den Bereich persönlicher und sozialer Programmierung von Wahrnehmung, Verarbeitung und Verhalten all derer verortet werden, die in fremdbestimmten institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen mehr oder weniger stark eingebunden sind.
Zunächst weist der Wortstamm des Begriffs (von lateinisch resilire: zurückspringen, abprallen, nicht anhaften) in seiner Bedeutung eher in Richtung Widerstands- als in Richtung Anpassungsfähigkeit. Wikipedia scheint uns hier einmal mehr in seiner Funktion als sozialhistorisches Korrektiv eines Besseren, weil im Sinne bestimmter Interessen zielführenderen Sinne unterrichten zu wollen. Sicherlich wäre die historische Verwicklung der Begriffsbedeutung einer Betrachtung und Analyse wert, aber wir wollen diese etymologische Unstimmigkeit, wenn nicht gar Verdrehung, hier nicht weiter vertiefen.
Wir wollen vielmehr dem Wesen des gegenwärtigen ideologischen Konzeptes von Resilienz nachspüren und unsere Gedanken darum kreisen lassen in der Absicht, des Versuchs seiner Bemächtigung unseres Wollens auf die Spur zu kommen, uns seines mentalen Zugriffs und der sirenenhaften Bezauberung gewahr zu werden und ihm uns als logische Konsequenz und dem vorerst vagen Ziel einer geistig moralischen Unabhängigkeit dadurch in einem ersten Schritt entziehen.
Glücklicherweise ist der Nichtakademiker, nennen wir ihn hier den einfachen Menschen, nicht nur tendenziell in größerem Umfang im Besitz seiner funktionsfähigen sieben Sinne, sondern vermag die auf diesem Wege wahrgenommenen Signale auch in angemessenerer Form zu interpretieren und nach seinen Erkenntnissen zu handeln als der immer weiter von der Wirklichkeit fort-, also weit vom Wesentlichen weg gebildete und im Geiste verdrehte Bildungsbürger, geschweige denn der auf die Sichtweise durch einen Spalt im Vorhang konditionierte Fachexperte. In dieser Hinsicht haben wir dem einfachen Menschen nicht viel Neues zu erklären, denn er war nie so sehr betroffen davon, zum Adressaten ideologischer Konzepte wie der Resilienz zu werden und deshalb läuft er auch viel weniger Gefahr, aus allen Wolken zu fallen.
Anders verhält es sich mit dem immer größer gewordenen Teil der Mitmenschen, die nur noch wahrnehmen, was sie für wahr nehmen wollen, nur noch begreifen können, was sich gut anfühlt, nur noch tun, was ihnen ihre kindlichen Vorstellungen über das Funktionieren der Welt und die Realität suggerieren; kurz, die vielen Zeitgenossen, die sich einer gewissen Bequemlichkeit hingegeben haben oder tatsächlich nicht mehr die geringste Anbindung an ihre ureigenen Erkenntnis- und Unterscheidungsfähigkeiten für die Wahrnehmung der sich immer weiter beschleunigenden epochalen Veränderungsprozesse mitbringen.
Und dazu gehören insbesondere hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Mitarbeiter in Verwaltungen, verwaltungsähnlichen Organisationen, medizinischen, gesundheitlichen, therapeutischen und pädagogischen Einrichtungen, sämtlichen Bildungsinstitutionen sowie einem Großteil der in Konzernstrukturen leitend und verwaltend Tätigen. All diese Bereiche sind vom ideologisch geleiteten Denken, also vom Glauben an eine imaginierte Wunschwelt mit ihren willkürlich konstruierten Ursachenketten durchdrungen und in einem solchen Maße wirklichkeitsfern, dass die Gläubigen in den sich zunehmend auflösenden Matrix-Gerüsten immer weniger Halt finden und fortwährend aktualisierter mentaler Steuerungsprogramme wie der Resilienz bedürfen.
Dieses Konzept wird dann in den Stand einer mentalen Stärke erhoben, die es zu errichten und zu kultivieren gilt, damit der reichlich zweifelnde Verstand des wohlwollenden Mitmenschen bloß nicht auf die Idee komme, dass die präsentierte Wirklichkeit einer Inszenierung gleichkommt, sondern flugs seinen Zweifel gegen sich selbst, sein eigenes Unvermögen oder seine Unzulänglichkeit richtet. Machen Sie sich bitte keine Sorgen, denn wir haben längst erkannt, was ihnen fehlt und waren nicht untätig, sondern haben bereits geistiges Baumaterial erzeugt, das diese klaffende Wunde zu verschließen vermag; also geben Sie sich vertrauensvoll den aufgeblasenen Wortwolken unserer Experten hin und verlassen sich auf die nebenwirkungsarmen Versprechungen für Ihr Wohlergehens.
So wie die sozialwissenschaftliche Forschung schon immer der Voraussagbarkeit und damit Steuerbarkeit von sozialen Prozessen diente und genau zu diesem Zweck institutionalisiert wurde, so hat sich die wissenschaftliche Psychologie gleichermaßen aus einem Interesse an der Funktionsweise des gesunden Menschenverstands dem Paradigma eines kollektiv zu vermittelnden und zweckgerichteten Denkens angepasst und trachtet darum gleichermaßen nach Einflussnahme auf das gewünschte Wahrnehmen, Interpretieren und Handeln des Einzelnen.
Resilienz wird dabei zu einer erstrebens- und schätzenswerten Eigenschaft des Einzelnen erhoben, konsumsozialistisch geprägte Coaches und Trainer haben dieses Konzept in ihr Angebotsportfolio übernommen und schlagen luftige Brücken von der Realität des menschengemachten Chaos zu den Glaubensvorstellungen, die weiterhin Folgsamkeit und Toleranz der zahlungsbereiten Kundschaft fordern.
Wir können bei der vertiefenden Betrachtung modischer Strategien zur Bewältigung immer weiterer Klüfte zwischen der Wirklichkeit und des für wahr Imaginierten die immer gleichen Werkzeuge der Nutzbarmachung grundlegender und tatsächlicher Gesetzmäßigkeiten erkennen, die uns auf die eine oder andere Art suggerieren, wir ließen uns besser erklären, was wir sehen, hören, fühlen usf. und wie wir diese Wahrnehmung zu verstehen haben, woraus sich dann unser alternativloses Handeln wie von selbst schlussfolgern lässt.
Die Methode wird in ihrer degenerierten Form als satanische Umkehr bezeichnet, ist aber in seiner unspektakulären und gewöhnlich erscheinenden Bedeutung einfach das Gegenteil von dem, was es vorgibt zu sein und bedient sich einfachster psychologischer Tricks wie der Lenkung von Aufmerksamkeit, Reizüberflutung, ständiger Wiederholungen, Belohnungs- und Bestrafungsstrategien und mehr. Auf sämtlichen offenen oder verborgenen Spielplätzen des öffentlichen Raums agieren wir, oder vielmehr unsere in Anlehnung an globale und universale betriebswirtschaftliche Strukturen so genannten Personen, gemäß unseres Wissensstandes um übergeordnete Gesetzmäßigkeiten und folgen oder entziehen uns den fremdbestimmten Regeln des Marktdarwinismus.
Resilienz und Entwicklung
Aus einem mangelhaften historischen Zusammenhangsdenken heraus, das wenigstens seit Jahrhunderten, vermutlich viel länger schon massiv bekämpft wird und uns heutzutage bereits den Blick auf die Wirkzusammenhänge kürzester zeitlich voneinander entfernter Geschehnisse versperrt, wurde es zunehmend unmöglich, den Begriff Entwicklung als einen Weg aus der Verwicklung zu begreifen und wir sind stattdessen geneigt, alles uns bis hierhin unbekannte Wissen in das bewährte Verständnis unserer für wahr genommenen Konzepte, Theorien und Annahmen zu integrieren und die immer weiter fortschreitende Verwicklung als ihr genaues Gegenteil zu begreifen.
Mit dem Konzept der Resilienz widerfährt uns der gleiche Irrtum, wie mit nahezu allem, was wir heute als unumstößliche Gewissheit aufgefasst und aufgehört haben, kritisch zu hinterfragen. Die Verrückung des Gedankens findet bereits mit seiner Einführung statt. Selbst die Definition bietet Entscheidungsspielräume; wird mit doch gleich eine konzeptgeleitete Verortung der Bedeutung vorgenommen und damit zu einem Zeitpunkt des Denkprozesses eingegriffen, der für das weitere Vorstellungsvermögen richtungsweisend ist.
Das Konzept wird lediglich auf seine Tauglichkeit in der Anwendung auf bereits bestehende und für wahr erachtete Grundannahmen sowie auf die Stimmigkeit mit übergeordneten Rahmenbedingungen, die unter keinen Umständen in Zweifel gezogen werden dürfen, geprüft, bei Bedarf daran angepasst und möglichst widerspruchsfrei integriert. Oder die Widersprüche befinden sich in dem als notwendig für den Diskurs erachteten Rahmen von unterschiedlichen Ansichten und befriedigen auf diese Weise unseren Glauben an Meinungsvielfalt und Durchsetzungskraft der vernünftigsten Sichtweise.
Wir setzen darauf, dass die Schulung unserer Resilienz uns zu einem reiferen Menschenwesen und zu einer umsichtigeren Führungskraft von uns selbst und anderen zu vervollständigen vermag. Leider weisen die angebotenen Versprechungen stattdessen in eine tiefere Verwicklung mit den Konzepten, die wir bei genauerem Hinsehen zu überwinden trachten würden, nämlich der tief verwurzelten Verwirrung, Irritation und dem Unbehagen in der Scheinwelt, die wir nur immer weiter zu nähren gewohnt sind, da wir sie als solche nicht zu durchschauen vermögen.
Werden uns also Schulungsangebote jeglicher Art dargeboten, so ist es nicht die schlechteste Wahl, sich zunächst zurückzuhalten und den gewohnten Gedanken auf die Spur zu kommen, die in uns angestoßen, den zwangsläufigen Verlauf einer nicht von eigener Wahrnehmung und Interpretation abhängigen Folgerung nehmen und insofern auch gar nicht unsere naturgemäßen Interessen referenzieren können. Ein innehalten und besinnen darauf, wer sich hier eigentlich welchen Denkens bedient, kann dabei hilfreich sein, denn es führt möglicherweise zu eigenen Fragen statt zur Beantwortung solcher, die man sich selbst nicht gestellt hat.
Fazit
Betrachten wir die der Resilienz innewohnende Widerstandskraft gegen wirklichkeitsfremde Anhaftungen an als eine natürliche Neigung und ein Vermögen, die Anbindung an Wesentliches und Wahrhaftiges wieder zu erkennen und zu pflegen und sie dafür zu nutzen, den uns eigenen und zunächst individuellen und mit zunehmender Verwicklung kollektiv wirkenden mentalen Programmierungen auf die Spur zu kommen, dann vermag es ein Werkzeug geistiger Reinigungsarbeit zu werden und dazu beizutragen, die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
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