Um Verantwortung übernehmen zu können braucht man wohl so etwas wie Maßstäbe.
Anhaltspunkte und auch Vorstellungen über die Funktionsweise der Welt im Allgemeinen und das eigene Leben im Besonderen.
Dabei verstehe ich die Welt nicht als etwas Abstraktes und Undurchschaubares.
Sondern als den Lebensraum, in dem alles Geschehen stattfindet und dabei Prinzipien von Ursache und Wirkung folgt.
Nun haben wir eine Ahnung davon, wie unser eigenes Denken und Handeln funktioniert.
Wir haben im Laufe unseres Lebens mehr oder weniger vielfältig unterschiedliche Menschen kennengelernt.
Wir haben eine schulische Ausbildung bekommen, eine Berufsausbildung gemacht oder studiert. Wenn alles halbwegs gut gelaufen ist.
Wir haben gelernt, uns als gebildete und aufgeklärte Menschen zu begreifen und Verantwortung zu übernehmen.
Wir haben einen Job angenommen und das Arbeitsleben kennengelernt.
Vielleicht haben wir mehrere Jobs gemacht, weil noch nicht das Richtige oder was tragfähiges dabei war.
Dabei sind wir uns immer mal mehr und mal weniger sicher gewesen, dass wir uns zunehmend in der Welt auskennen, in der wir uns bewegen.
Wir haben uns in Beziehungen mit unseren Partnern erlebt, haben vielleicht Kinder mit ihnen und leben unser Leben.
Dabei verlassen wir uns darauf, dass all das, was wir gelernt haben auch weiterhin gilt und uns zurecht finden lässt.
Nun machen in diesen Zeiten Menschen die Erfahrung, dass viele Dinge nicht so sind wie sie immer zu sein schienen.
Nicht in der Weise wie man unterschiedlicher Meinung zu einem Thema sein kann und dann darüber diskutiert wird.
Am Stammtisch, in der Mittagspause, im Fernsehen und im Bundestag.
Nein, es ist die Unbehaglichkeit darüber, dass der Rahmen für unsere Bewertungsmaßstäbe nicht mehr für die Wirklichkeit taugen.
- Es ist fraglich, ob wir uns unserer Gewissheiten von früher noch so sicher sein können.
- Immer mehr Fragwürdigkeiten bestürmen uns und immer neue Erkenntnisse werden verbreitet.
- Selbst diejenigen, die kaum Zeit haben, sich einem Thema von öffentlichem Interesse mal ausführlicher zu widmen kommen ins Zweifeln.
Auch wenn wir uns an lieb gewonnener Sicherheit festhalten mögen, scheinen sich Überzeugungen zu relativieren.
Unsere Arbeit im Jobcenter gerät dabei genau so ins Visier der Wahrheit Suchenden wie sämtliche anderen Lebensbereiche.
Und auch hier spreche ich nicht von den üblichen Diskussionen unter den etablierten Parteien und deren Anhängern.
Ich meine ein grundsätzliches Infrage stellen.
Wir können uns längst nicht mehr identifizieren mit den Parolen aus Politik, Verbänden und sonstigen Institutionen.
Beitragsfinanzierter Qualitätsjournalismus versteht sich schon längst nicht mehr als unabhängige und vierte Kraft im Staate.
Sie sind allesamt unglaubwürdig geworden und es gilt nun in dieser verlorenen Wirklichkeit sich selbst nicht zu verlieren.
Die Orientierung zu behalten, ohne die es schlicht unmöglich ist Verantwortung zu übernehmen.
Geschweige denn anderen vermitteln zu können, dass Selbstermächtigung und Eigen-Verantwortung erstrebenswerte Ziele sind.
Wie das zu realisieren ist, muss jeder für sich selbst herausfinden.
Ich will in irgendeiner Form voraus gehen, da mir Ahnungen von den Zusammenhängen hinter dem Schleier des täglichen Einerlei offenbar geworden sind.
Im Rahmen meines Jobs möchte ich meinen Klienten vermitteln, dass es kraftvolle Wirkung entfalten kann, Verantwortung für sich zu übernehmen.
Voraussetzung dafür ist, dass sie reinen Wein eingeschenkt bekommen.
So rein wie es eben möglich ist mit meinem Verständnis von den Zusammenhängen in unserer Lebenswelt.
- Warum sollte ich meinen Mitmenschen verkaufen, dass unsere Sozialgesetzgebung ein Segen für die Bedürftigen ist?
- Was sollen sie anfangen mit Informationen, die ihre Abhängigkeit und Machtlosigkeit bedienen?
- Warum sollte ich Ihnen erklären, dass es doch eigentlich gar nicht so schlimm ist, im Hartz-IV Bezug zu leben?
- Warum sollte ich Ihnen vormachen, sie könnten einen Job finden, wenn sie sich nur ordentlich bemühen?
Diesseits und jenseits des Schreibtisches im Jobcenter wird begriffen, dass diese Überzeugungen nicht mehr tragen.
Viele sehen das ohne zu wissen, wohin diese Ahnungen und neuen Gewissheiten sie nun eigentlich führen.
Die Bedarfssätze steigen 2019 wieder um ein paar Euro, der Eingliederungsetat der Jobcenter erneut um viele Millionen Euro.
Ich halte an der für mich wirksamsten Methode fest:
Selbstermächtigung und Eigen-Verantwortung als Schlüssel zum Umgang mit sich und dem eigenen Lebensraum.
Ohne Frage trägt der Mensch auf der anderen Seite des Schreibtisches die Verantwortung für seine Lebensgestaltung.
Aktuell findet er sich aber in einem Versorgungssystem, das ihn zum Bedürftigen definiert.
Denn es handelt sich ja um Bedarfsgemeinschaften, selbst wenn unsere Klienten allein leben, Einzel-BG sagt man dann …
Und die an offenen Strafvollzug erinnernden Meldepflichten sind der Stachel im Gewissen derer, die wir als Hilfeempfänger bezeichnen.
Zuerst heißt es, ihn zu erniedrigen, um ihm dann die Hand zu reichen.
JEDER spürt die Doppelbödigkeit dieser Ideologie.
Und viele, insbesondere kluge und sensible Menschen wurden durch sie vergiftet.
Die tatsächlichen Umstände müssen genauso beim Namen genannt werden wie die Hintergründe, die ein solches System ermöglichen.
Diese Prozesse des Erkennens und der Selbstermächtigung gehen Hand in Hand.
Wir backen kleine Brötchen, aber dafür welche mit hohem Nährwert und energetisierenden Zutaten.
Ich bin überzeugt davon, dass es meinen Klienten stark macht, wenn er bereit ist Verantwortung zu übernehmen.
In genau dem Maß, das ihm gerecht wird. Und das ist bei jedem anders.
Auch die Einstiegsstelle in diesen Prozess ist bei jedem eine andere.
Ich telefoniere in etwa halbjährlichen Abständen mit einem 61 jährigen Kunden, der seit mehr als 2 Jahren gegen einen aggressiven Krebs kämpft.
Er glaubt an die Chemotherapie, die immer wieder eingeleitet werden muss, weil der Krebs wiederkommt.
Die Kraft, mit der er sich immer wieder aufrichtet und sich der Krankheit entgegen stellt rührt mich bei jedem Gespräch zu Tränen.
Niemals hat er die Verantwortung irgendwo anders gesucht als bei sich selbst.
Und er beteuert, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als sich nicht unterkriegen zu lassen.
Sein Wunsch ist es, wieder beruflich tätig sein zu können. Wenn ihm das gelingt, dann wird er stärker sein als jemals zuvor.
Du magst behaupten, dass die meisten unserer Klienten nicht wissen, was für sie gut und richtig ist.
Das mag sein. Um so mehr dürfen wir uns herausgefordert fühlen, sie auf ihrem Weg in die Verantwortung zu begleiten.
Den meisten meiner Klienten wäre nicht geholfen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Denn sie sind geprägt von der Bedeutsamkeit des Gleichgewichts von Geben und Nehmen.
Es ist für sie ein großes Unglück, dass sie für das, was sie bekommen, nicht auch etwas geben können.
Andererseits kann mein Klient mit gutem Recht behaupten, mit dem Regelsatz sei kein menschenwürdiges Leben möglich.
Niemals würde ich ihm solche Überzeugungen auszureden versuchen.
Denn diese Überlegungen gehören vielleicht zwingend zum Prozess seiner Erkenntnis.
Es reicht vollkommen, ihm zuzuhören, ihn behaupten und klagen zu lassen.
Vielleicht wird er mich sogar zum Mittäter eines Systems machen, das ihm seine Würde nimmt.
Diese Verantwortung werde ich niemals für ihn tragen und mich davon unmissverständlich abgrenzen.
Was ich aber immer aufspüren wollen werde, das sind Möglichkeiten seiner Einflussnahme, seines Tuns und Lassens.
Vielleicht denkst Du, dass Deine Klienten gar nicht die Fähigkeiten entwickelt haben, Verantwortung für sich zu übernehmen.
Tust Du das dann an ihrer Stelle, dann hast Du sicherlich dem gesetzlichen Auftrag gedient, nicht aber dem Menschen.
Du hast es ihm aus der Hand genommen, seinen Entwicklungsweg zu gehen.
Seine Erfahrungen zu machen, die er dringend braucht, damit er Verantwortung übernehmen kann.
Warum solltest Du das tun?
Aus Desinteresse, Ungeduld, Herablasssung oder der Überzeugung, das sei nicht Dein, sondern sein Problem?
Immerhin handelt es sich um Menschen, denen das Gefühl der fehlenden Unabhängigkeit im Nacken sitzt und die damit mehr schlecht als recht leben.
Gut, und wenn wir nun entschlossen sind, die Eigen-Verantwortung unserer Klienten anzuregen, wie machen wir das?
Doch was fördert die Entwicklung von eigener Initiative und Bereitschaft zur Verantwortung?
100 Prozent Aufmerksamkeit, 100 Prozent Einverständnis und EINE lösbare Aufgabe … für den Anfang.
Wir begegnen aber auch immer wieder Menschen, die eine außerordentliche Klugheit entwickelt haben, sich im Leben zurecht zu finden.
Und mehr noch, dabei bemerkenswerte Lebensqualität zu kultivieren.
Ich spreche mit ihnen darüber, wie sie das schaffen, einen so vitalen und lebensfrohen Eindruck zu hinterlassen.
Und dann schenken sie MIR reinen Wein ein.
Denn es gibt sie, die leibhaftigen Beispiele dafür, dass Lebensqualität nicht zwangsläufig mit der Höhe des Einkommens zusammenhängt.
Kurzum, interessant sind die Gespräche mit unseren Klienten, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen.
Also jeder in seiner Verantwortung und Zuständigkeit für seine Entscheidungen.
Unter diesen Umständen werden diese Gespräche auch niemals langweilig, wie sollten sie auch?
Fazit
Wer wieder beginnt, seinen Augen zu trauen, kommt an der herrschenden Verwirrung nicht vorbei, mit der wir tagtäglich über die Medien konfrontiert werden.
Verantwortung für uns zu übernehmen heißt auch für einen Moment inne zuhalten und sich nicht gleich hinreißen zu lassen.
Mal nachzuspüren, was die die Begegnungen mit unseren Klienten mit uns machen und wie wir unsere Klienten führen.
Das Gesetz ibt uns den Entscheidungsspielraum, das Ermessen, mit guten Gründen zu tun oder zu lassen, was unserer Haltung entgegen kommt.
Also warum sollten wir nicht mit unseren Klienten daran arbeiten, dass sie das Heft in die Hand nehmen und den Mut haben, Entscheidungen zu treffen?
Reinen Wein einschenken und Verantwortung übernehmen.
Und das mit Herz und Verstand.
Schreibe einen Kommentar