Das Bürgergeld ist eingeführt, in den Arbeitsverwaltungen gibt es nichts Neues. Die Digitalisierung in allen Verfahrenszweigen wird nach Kräften befördert, wer sich dafür partout nicht öffnen mag, den lässt man laufen und setzt auf die nachwachsenden Generationen, denen das Smartphone bereits in die Wiege gelegt worden war, um das altmodische Babyphone zu ersetzen.
Die Jobcenter sind nur noch nach terminlicher Absprache zugänglich und auf den Gängen zu den Amtsstuben ist es merklich ruhiger geworden, während die Gesichtszüge der vereinzelt Anzutreffenden meist nicht mehr hinter Masken verborgen sind. Die Macht des Faktischen fordert ihren Tribut und lässt eine gewisse Entspannung der heraufbeschworenen weltweiten Gesundheitskrise einkehren. Die Apologeten der pandemischen Gefahrenlage von gestern wenden sich heimlich von ihrer gesundheitspolitschen Verantwortungsbereitschaft ab, besinnen sich auf ihre Expertise und suchen die Flucht nach vorgestern vorn: Hört Ihr Leut’ und lasst Euch sagen …
“Das ausufernde Controlling-System … zwingt die handelnden Personen [die Mitarbeiter im operativen Geschäft] in das Paradoxon, auf der einen Seite gute (Beratungs-)Arbeit zu leisten, aber auf der anderen Seite wie bei stumpfer Fließbandarbeit „Stückzahlen“ zu produzieren, an denen man letztendlich „gemessen“ wird.” Nun gut, wenden wir uns also ab von den beherrschenden Themen der vergangenen gut 3 Jahre und den Beschwörungen zu, die fast schon drohten, der Vergessenheit anheim zu fallen.
Die oben zitierte Analyse eines Personalrats zu den Arbeitsbedingungen für ‘Integrationsfachkräfte’ halte ich für gleichermaßen zutreffend wie wichtig, denn sie bedient den innerlichen Aufruhr, der bei jüngeren Seelen noch immer die Reformfähigkeit der Systematik und -willigkeit der wohlwollenden Entscheidungsträger adressiert und vor allem anderen eines tut, nämlich die gesunde Wahrnehmung von immanenten Unstimmigkeiten artikuliert und an den Punkt des kleinsten gemeinsamen Nenners führt:
An die Erkenntnis der Ohnmacht vor der Macht des Faktischen.
Für die meisten Zeitgenossen endet hier freilich die Reise des Vorstellbaren und sie igeln sich in einem ihrer Umsicht und ihrem Begriffsvermögen entsprechenden Erlebensraum ein, während sie für wenige andere an selbiger Stelle beginnt, in dunkle Tiefen und lichte Höhen führt und Ahnungen von den Räumen der Möglichkeiten eröffnet.
Wir wollen uns diesem Grenzgang, dem Überweg und seinen charakteristischen Merkmalen nun wieder widmen und den Weg dahin etwas plastischer erscheinen lassen mit dem hehren Ziel, uns von der Macht des Faktischen einen Begriff machen zu können. Ziehen wir also wieder ein Zitat heran und lernen unterscheiden, wie die Macht des Faktischen benutzt werden kann, die Sicht darauf zu verstellen:
“Die aktuelle Relation der arbeitssuchenden Leistungsberechtigten pro (Vollzeit-) Integrationsfachkraft für Erwachsene liegt de facto bei über 1 zu 400, vielleicht bei 1 zu 450. Durch „Schönrechnerei“ anhand von irgendwelchen Rahmenkonzepten unter Anrechnung von egal-was wird daraus dann eine Betreuungsrelation von unter 1 zu 150, ganz gesetzeskonform.”
Wir müssen zunächst richtigstellen, dass die Betreuungsschlüssel nicht die arbeitsmarktlichen, psychologischen und pädagogischen Beratungsbedarfe der “Leistungsberechtigten”, also der Empfänger von Bürgergeld reflektieren, sondern Rechengrößen zur gesamten personellen Ausstattung einer behördenähnlichen Einrichtung darstellen und der Begriff Betreuungsschlüssel ist lediglich eine sogenannte Vorteilsübersetzung für den Bürger, der glaubt, er stehe im Mittelpunkt aller Bemühungen.
Das ist kein Geheimnis, wird ungeniert ausgesprochen und ist Ausdruck der Gewissheit eines auf Annahmen basierenden Glaubenssystems, das uns im Zweifel als die Macht des Faktischen verkauft wird, weil wir nicht mehr gewohnt sind, Glaubenssätze, also Annahmen zu hinterfragen und uns stattdessen von Fakten überzeugen lassen, die keine sind.
Die kalkulatorischen Bedingungen einer unter kommerziellen Gesichtspunkten gegründeten und unter selbigen wirtschaftenden Behörde werden weder verschleiert noch manipuliert. Realisiert wird vielmehr die konsequente und eigentlich auch nicht wirklich in der Mitarbeiterkritik stehende betriebswirtschaftliche Umsetzung von organisatorischen Rahmenbedingungen.
Würden wir fragwürdige Entwicklungen aufzeigen wollen, dann fiele uns eher die kuntinuierliche Gwichtszunahme des sogenannten Wasserkopfs ins Auge, sprich die inflationäre Einrichtung von immer weiteren Führungsposition, Stabsstellen, Beauftragungen für Gleichstellung, Diversität, Migration, Chancengleichheit, Datenschutz, Controlling, Organisationsentwicklung, Qualitätssicherung und anderes auf.
Die oben zitierte ‘Schönrechnerei’ müssen wir daher als nicht zutreffend bezeichnen, vielmehr wird umgekehrt ein Schuh daraus. Es handelt sich um gelebte Praxis seit fast 2 Jahrzehnten, die längst den Status der Macht des Faktischen erlangt hat und offenkundig nicht den Kern des Übels beherbergt.
Die Rechnerei und ihr Ergebnis in diesen Rang zu erheben kann bestenfalls eine Fährte mit emotionalem Reibungspotenzial legen und auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Kollegen steuern. Es sind diese psychologischen Operationen auf Mikroebene, die wissentlich oder ahnungslos insbesondere von denen genutzt werden, die sich fortwährend genötigt sehen, die Notwendigkeit und Gemeinnützigkeit ihrer Tätigkeit unter Beweis stellen zu müssen.
Der unvoreingenommene Blick auf die massenpsychologischen Funktionsweisen und selbstbezogenen Motivlagen fein abgestimmten und manipulativen Vorgehens wird sich dem erschließen, der sich auf den Weg zur Ohnmacht vor dem Faktischen gemacht hat und der dort trotz aller Ablenkungen, Irritationen und falsch gelegter Fährten angekommen ist, sie reichlich und schmerzhaft gekostet und in vielen Facetten daran gelitten hat, schlussendlich aber auf begrifflich noch nicht recht fassbare Weise früher oder später damit belohnt wird, sie bannen und hinter sich lassen zu können.
Es soll hier nicht darum gehen, jemanden bloßzustellen, mit dem Finger auf ihn zu zeigen oder sich herablassend zu äußern. Das würde nicht der notwendigen Entwicklung der Menschheitsfamilie in der auslaufenden Epoche der versuchten Realisierung einer mechanistisch, materialistisch und transhumanistisch angelegten Versuchsanordnung kosmischer Größenordnung gerecht werden.
Gleichwohl sollen hier zitierte Inhalte, abgesehen davon dass sie diesen Beitrag inspiriert haben, als Anlass für eine Analyse der Wirkweise bestimmter Aspekte der Macht des Faktischen dienen unter der hier und auf dem gesamten Blog immer gültigen Maxime, dass nie Kollegen oder andere Mitmenschen adressiert sind, sondern die uns allen mehr oder weniger vertrauten Irrtümer, denen wir aus Angst vor der Wirklichkeit unserer kleinen und großen Traumata und den daraus resultierenden Nöten auf den Leim gehen. In diesem Sinne greife ich hier den abschließenden Appell des Personalrats, vorgetragen als Konsequenz aus der oben besprochenen Steuerungslogik einer kommerziell arbeitenden Einrichtung der Arbeitsverwaltung auf:
“Wir wissen Dich, [hier werden einzelne Akteure des institutionellen und politisch-medialen Komplexes adressiert] auf unserer Seite, denn qualitativ hochwertige (Beratungs-)Arbeit ist der Wunsch meiner Kolleg:innen. Dafür benötigen sie aber ausreichend Zeit, um auf die individuellen Lebenssituationen unserer Leistungsberechtigten einzugehen, und keine Erfüllung quantitativer Vorgaben. Damit das Bürgergeld ein Erfolg wird und nicht an den alten Hartz IV-Strukturen scheitert!”
Der gute Wille im Rahmen der Macht des Faktischen.
Das wäre die wohlwollende Analyse des Apells. Die vertrauliche Anrede auch höherer Repräsentanten der Macht des Faktischen offenbart die an uns gerichtete Erwartungshaltung. Wir dürfen uns ihrer Solidarität und ihres Bemühens sicher sein, sofern wir uns gemeinsam mit ihnen dieser Macht ergeben und die Ohnmacht mit ihnen teilen.
Gemeinsam gefangen in dem Glauben an diese Macht wagen wir uns nicht in ihre Nähe, erspähen sie nur aus der Ferne, halten ehrfurchtsvoll Abstand und flüstern uns allenfalls zu, dass man sich besser nicht mit ihr anlegt.
Die wenigen, die sich näher herantrauen, machen das stets vorsichtig und besonnen, denn die Macht des Faktischen pflegt die Neugierigen zu verwirren und wenn das nicht abschreckt, dann schlagen ihre Wächter auch unvermittelt zu. Andere getrauen sich, sie neckisch herauszufordern, was sie meist gutmütig toleriert, solange der Spitzbub die Spielregeln nicht grundsätzlich in Frage stellt oder sich gar gegen sie auflehnt. Manch ein Suchender soll gar zu ihrem Komplizen geworden sein und sich nun in ihren Dienst stellen.
Nein, die Macht des Faktischen ist der Raum, der für unsere Begrifflichkeiten und unser Begreifen undurchdringlich erscheint und doch sind wir aufgefordert, das unbekannte Gelände geistig zu kartographieren, wenn wir nicht auf dem Spielfeld verbleiben wollen, das für uns mit großem Aufwand errichtet wurde und mit noch größerem Aufwand am Laufen gehalten wird. Jeder von uns darf auf mannigfachen Ebenen an diesem Spiel teilnehmen, auch wechselnde Rollen sind erlaubt und sogar erwünscht.
Die meisten Rollen sind bei einem Spiel dieser Größenordnung naturgemäß an Statisten vergeben und sie sorgen selbst für die Einhaltung der Regeln, die sie im Laufe ihrer Spielpraxis erfahren haben. Aber es werden auch viele, ja sehr viele Mitspieler auf organisatorisch höheren Spielebenen gebraucht, um die reibungslosen Abläufe und die Funktionstüchtigkeit des Spiels zu überwachen und sicherzustellen.
Sie sind mit der Macht des Faktischen je nach ihrer Um- und Einsicht vertraut, erfahren die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Rollen, richten sich dann in ihnen ein und arrangieren sich mit ihrem Spiel des Lebens. Andere, vergleichsweise noch sehr wenige, aber wohl wiederum ausreichend viele Zeitgenossen reisen aus einer inneren Notwendigkeit heraus an die Spielfeldgrenzen und die Beschränkungen ihres Begreifens und warten dort auf ihren Willen.
In der ‘Truman Show’ ist das die Kulisse aus Wasser und Himmel, gegen die der arglose Truman stößt, in unserem gewöhnlich in den Maschen der gegenwärtigen Matrix verwickelten Alltagsbewusstsein ist das die Macht des Faktischen. Im Film ist sie lediglich eine bunt bemalte Wand und wirkt auch nicht bedrohlich, sie ist vielmehr mit einer Tür versehen, die dazu einlädt, sich vom Publikum zu verabschieden und durch sie hindurchzugehen, was für den naiven Bewusstseinszustand von Truman auch ein stimmiges Bild ist und unser inneres Kind sich mit ihm und seinem Entdeckermut solidarisieren lässt. Insofern beschreibt der Film eine märchenhafte Analogie des Erwachensprozesses eines Erwachsenen, der Zeit seines Lebens in einer Kinderwelt lebte und sich darin arrangiert hatte.
Im wirklichen Leben freilich wird die Macht des Faktischen, der Spielfeldrand unseres Bewusstseins streng bewacht von den Geistern und Wesen, die wir riefen und die uns vor dem nackten Anblick unserer traumatischen Erfahrungen und vor der Wirklichkeit tief verborgener Erinnerungen schützen. Daher gibt es für die meisten Menschen gar keine Veranlassung, den Spielfeldrand aufzusuchen oder sich gar vom Blick auf das Jenseitige angezogen zu fühlen, und sie betrachten diese abenteuerlichen Zeitgenossen eher skeptisch, mitunter sogar feindselig.
Die Macht des Faktischen ist keine bunte Kulisse mit einem Durchgang zu einer verheißungsvollen Zukunft, sondern ein zugewuchertes, undurchsichtiges und verwickeltes Dickicht aus Konsequenzen von Wahrnehmen, Denken und Handeln, das die Errichtung kollektiver Gesellschaftslösungen zum Ziel hat und konsequent daran scheitert. Dies gilt es nicht nur geduldig auszuhalten, sondern sich im wahrsten Sinne des Wortes Begriffe davon zu machen und so der Macht des Faktischen Schritt für Schritt und Schicht für Schicht auf die Schliche zu kommen.
Derweil bedienen und nähren wir die Macht des Faktischen durch Leugnung unserer kollektiven Traumatisierung, durch kindliche Gutgläubigkeit, Verlust des gesunden Menschenverstandes, Misstrauen gegenüber Wahrhaftigkeit, durch Sedierung unserer geistigen Beweglichkeit bis hin zur Bequemlichkeit und insbesondere durch Unterstützung von und Solidarität mit verwirrten Konzepten zum gleichgeschalteten Kollektiv strebender Gesinnungen.
Das Faktische bleibt nur solange an der Macht, wie eir uns nicht den selbstzerstörerischen Spielregeln dieser Form von Wirklichkeitsgestaltung nicht entziehen, stattdessen daran teilnehmen, meist mit naivem Wohlwollen und traumwandlerischen Absichten, häufig mit einem beschwichtigenden Augenzwinkern, nachdem wir ertappt worden sind und manchmal mit der entschlossenen Dreistigkeit dessen, dem der Zweck die Mittel heiligt. Wir bezahlen unser irdisches Dasein mit Zeit und Aufmerksamkeit und der freie Wille lenkt unsere Entscheidungen, diese Währungen für Wert einzulösen.
Manch ein Kollege ist erheblich belastet durch die Mächte des Faktischen, durch unzumutbar erscheinende Arbeitsbedingungen, unerfüllbare Vorgaben, unglaubwürdige Bekundungen von Wertschätzung, unverhältnismäßige Prioritäten, fehlende Wahrhaftigkeit, kurzum durch schmerzliche Identifizierungen mit Erwartungshaltungen. Wenn dieselben Kollegen sich allerdings Neid und Missgunst gegenüber denen gestatten, die sich nicht zum Opfer der Macht des Faktischen machen lassen, dann werden wir der Enge ihres Horizontes gewahr, vor dem sich ihr Kummer abspielt und sie zum Erfüllungsgehilfen dieser Macht werden lässt.
Man möchte daraus schließen, es sind zuvorderst die eigenen Wirrungen, die einer vertiefenden Klärung bedürfen, bevor ein Blick auf größere Leiden gerichtet wird, die dann zunehmend und zwingend einer unbefangenen Wahrnehmung und unerschrockener Verstandeskräfte bedürfen, denn Selbstreflektion bleibt einem reiferen Stadium unserer geistigen Entwicklung vorbehalten.
Fazit
Die Macht des Faktischen ist die Illusion von einer unentrinnbaren Wirklichkeit außerhalb von uns selbst, einem dicht geflochtenen Netz aus Begrenzungen unseres Wahrnehmens, Denkens und Handelns. Unser Alltagsbewusstsein ist Teil dieses abgesteckten Spielfeldes und wir trainieren es ständig zu größtmöglicher Fitness, um nicht zu verlieren, was uns als Privilegien zuteil geworden ist.
Beginnen wir die Merkmale, Regeln und Werkzeuge der Macht des Faktischen zu untersuchen und bleiben dabei gelassen, widerstehen sinnlicher Verführung oder der Verlockung zur Komplizenschaft, bewältigen den Anblick der Bedrohlichkeit und die Angst davor, den Verstand zu verlieren, dann beginnt sie, sich aufzulösen und erscheint fortan als das, was sie ist:
Ein unserem Begriffsvermögen immer weit entfernt scheinendes und ohnmächtig machendes Trugbild, eine Wesenhaftigkeit, der wir erst durch unsere Projektionen Leben einhauchen. Auch an dieser Stelle gibt es noch immer einen Weg zurück in die Illusionen der Kinderwelt, aber wer will dahin schon zurück, außer er gestattet es sich bewusst und im Wissen um die Richtigkeit seiner Entscheidung?
Schreibe einen Kommentar